2016

Zugfahren

frauen roman regensburg

Das Zugabteil, ein magischer Raum

voller Möglichkeiten:

die Ankunft, die Wagenreihung,

der Einstieg, die Abfahrt.

Die Suche nach dem reservierten Sitz

Platz nehmen, Zeit haben.

Die Jacke, der Koffer, der Rucksack, die Thermoskanne.

Am Fenster sitzen, ja:

Der Platz neben mir ist noch frei.

Bis eben.

Mit eng an den Körper gedrückten Ellenbogen

das Notizbuch aus der Tasche nesteln.

Den Blick in die Landschaft schicken

und dann so schreiben

als ob niemand mitlesen könnte.

Die Intimität des Mitlesens ist größer als die des Mithörens

Gedanken auf Papier geheimnisvoller

als jedes Handygespräch.

Dialog mit dem Unbekannten.

 

entstanden an einem poetischen Novembertag mit Barbara Krohn

Einfach los

Zeit, mal wieder einen Blogartikel zu schreiben: In den letzten Tagen haben einige Menschen auf meine Webseite gefunden, und es passiert gerade so viel in meinem Leben... über was soll ich schreiben? Ich lege die Finger auf die Tastatur und schreibe einfach los. Das empfehle ich übrigens allen, die gerne schreiben wollen. Die Idee ist natürlich nicht von mir und es klingt einfach, aber man kann es nicht oft genug üben. Manchmal sitze ich im Café oder warte auf mein Mittagessen, und dann kritzle ich in mein Notizbuch. Oder ich packe auf einer Parkbank in der Sonne mein Schreibzeug aus. Dabei spazieren die Ereignisse der vergangenen Tage aufs Papier, Gedanken können sich entfalten, Ideen kommen. Und ich werde mir bewusst, was mich traurig oder fröhlich gemacht hat, was mich ärgert oder freut. Wenn ich "vergesse" zu schreiben, fehlt etwas: Nach einer Weile stellt sich eine gewisse Unzufriedenheit ein.

Vielleicht sollte ich auch jetzt irgendwo sitzen und diese Gedanken einfach nur meinem Buch anvertrauen. Stattdessen teile ich sie hier mit dir, mit Ihnen.

Nach erfüllten Wochen komme ich zu mir: Ein Highlight war natürlich die Buchpräsentation meines Romans Brot und Bitterschokolade im Literaturcafé. Über vierzig Menschen kamen - so viele freundliche, mir wohlgesonnene Zuhörer und Zuhörerinnen! Viele davon begleiten mich und mein Schreiben schon sehr, sehr lange. Was für ein Fest, ein Willkommensfest für mein Buch!

Ebenso sehr freute ich mich über die unbekannten Gesichter. Bedeuten sie doch, dass mein Buch auch unabhängig von meiner Person Interesse auf sich zieht. Und das wünsche ich mir natürlich auch; dass letztlich die Qualität überzeugt bzw. der persönliche Geschmack zugunsten meines Romans entscheidet. Freundinnen und Freunde sind dabei natürlich nicht ganz unparteiisch :-) Zum Glück zählen zu meinem Freundeskreis auch kritische Testleserinnen, die mich bewogen, eine frühere Version des Manuskripts komplett zu verwerfen - und die Geschichte so zu erzählen, wie sie jetzt ist. Denn dass ich sie erzählen wollte, stand außer Frage.

Und nun fand ich mich damit nicht nur auf der Lesebühne, sondern auch in einer Zeitungsredaktion (zum Interview) und mit einem Filmteam auf der Mariaorter Eisenbahnbrücke wieder, einem Schauplatz meines Romans. Das Ergebnis findet sich hier bei TVA.

Der Verlag tut wirklich alles, um mein Buch ins Rampenlicht zu rücken. Ich selber rücke mit - und stelle fest, dass es mir Spaß macht! Natürlich habe ich vor jeder Lesung oder Interviews Lampenfieber. Doch dann geht es meist erstaunlich leicht. Als hätte ich nie etwas anderes gemacht :-)

Und ich bin froh, dass ich nicht wirklich "berühmt" bin. Dass ich einen Alltag habe, in dem niemand mich auf der Straße erkennt und um ein Autogramm bittet, und dass mein ganz "normaler" Job mich erdet.

Sich feiern zu lassen, ist eine Kunst. Ich lerne sie gerade. Jetzt geh ich erst mal Kaffe Kaffeetrinken. Nur ich und mein Notizbuch. 

Herr Tüftel

Text zur Ausstellung "mariscal world in regensburg" im Leeren Beutel

Am gestrigen Sonntag habe ich an der Lesung im Leeren Beutel teilgenommen. Zuvor war ich in der Galerie, um die Bilder auf mich wirken zu lassen. Einige davon sehr bunt, sehr lebendig, mediterran. Andere erzählen kleine Bildergeschichten ...:

 

Es ist sechs Uhr morgens.

Herr Tüftel duscht im Regen.

Das ist schön.

Herrn Tüftels Dusche funktioniert nicht mehr.

Nur der Fernseher.

Also nimmt Herr Tüftel die Wolke mit nach Hause und duscht sich dort weiter.

Die Wolke hat verschiedene Programme.

Sie kann:

Sanft duschen

Massageduschen

Trockenduschen

Zimmerregen - das ist gut für die Pflanzen -

Peeling mit Hagelkörnern und noch vieles mehr.

Herr Tüftel duscht vor dem Fernseher und hat Glück:

Die Sicherung fliegt raus.

Der Strom kommt nicht wieder und auch der Regen ist ausgefallen.

Die Vierzig-Grad-Wäsche bleibt heute liegen.

Herr Tüftel nutzt die Regenpause zum Frühstücken.

Als der Regen wieder einsetzt, steigt Herr Tüftel in sein U-Boot und fährt los.

Er fährt durch die Wüste.

Es regnet.

Er fährt durch den Wald.

Es regnet.

Er fährt durch den Fluss.

Es regnet.

Er fährt über Wolken.

Es regnet.

Er fährt durch ein Dorf.

Dort gibt es ein Haus und einen Baum.

Es regnet.

Um neun Uhr erreicht Herr Tüftel die Baustelle.

Im Trockenen.

Ausnahmsweise.

Herr Tüftel schiebt schwarze Lava zu einem weißen Sandkieshaufen.

Zwischendurch setzt er seinen Helm auf und misst den Abstand zwischen beiden.

Gegen Mittag: archäologisch bedeutsame Funde.

Die Baustelle ruht.

Herr Tüftel geht zum Mittagessen.

Das Essen dampft.

Herr Tüftel schrumpft.

Es ist genug zu trinken da.

Am Nachmittag eilt Herr Tüftel zu seinem Nebenjob:

Fahrzeugtester in einer Oase.

Ein Motorroller

Ein Tretroller

Noch ein Tretroller

Ein Golfbuggy

Ein Bobbycar.

Der Rest ist Fata Morgana.

Vor allem die fahrbare Herdplatte mit dem Teekessel drauf.

Der letzte Roller verwandelt sich vor Herrn Tüftels Augen in einen Cadillac.

Herr Tüftel erwacht.

Es ist schon wieder neun Uhr.

Ein schwarzer Lavahaufen versperrt die Straße, die voller Motorroller ist.

Herr Tüftel drückt sich den Helm fest aufs Haupt und rennt - eine dreistöckige Torte balancierend - zwischen den glänzenden Gefährten hin und her.

Es regnet nicht mehr.

 

Bewegung ist mein Leben

von Marianne Bischof. Aus der biografischen Schreibwerkstatt

Der Drill beginnt am Morgen.
Den Startschuss macht der Wecker.
Schnell links aus dem Bett gerollt.
Robben zum Kaffeekocher.
Intensives Zähneschrubben unter dem harten Strahl der Dusche.
Heftiges morgendliches Gefecht mit dem Gatten: Touché.
Dritter Stock runter.
Rauf aufs Fahrrad, schon wieder zu spät.
Rote Ampel mit Blick auf Blaujacken umfahren.
Treppen hochspringen.
Kotau vor dem Chef.
Harter Handkantenschlag auf den defekten Computer.
Einarmiges Reißen des Telefonhörers.
Endlich Pause.
Büroschlaf

 

Aus dem Leben einer Teilzeitschriftstellerin

Zurück im Alltag

So langsam gewöhne ich mich wieder an mein normales Leben. Doch was heißt normal? Nach einem Monat voller künstlerischer Freiheiten, neuer Eindrücke und intensiver Schreibzeit als Writer in Residence in Pécs tauchte ich letzte Woche wieder in meinen Alltag ein: Meine Arbeit als Bauingenieurin, das Schreiben von Blogartikeln, Geschichten und Gedichten, Planen von Schreibkursen, FreundInnen treffen und Kulturveranstaltungen besuchen - das ist mein normales Leben. Das Pécs-Gefühl, wie ich es nenne, lässt sich nicht konservieren. Doch ich habe mir vorgenommen, auch zu Hause noch mehr Kulturmensch zu sein und auch in der scheinbar vertrauten Umgebung das Neue, Schöne und vielleicht auch Fremde gezielt zu suchen. So war ich endlich einmal im Literaturhaus Oberpfalz in Sulzbach-Rosenberg, wo ich fast nahtlos an meine Erlebnisse in Südosteuropa anknüpfen konnte: Mit Literatur als europäische Muttersprache: Begegnung mit AutorInnen aus neun Ländern - Lesungen und Gespräche u.a. mit Harald Grill, Tsvetanka Elenkova (Bulgarien), Vladimir Đurišić (Montenegro): Das geniale Projekt OMNIBUS führt in diesem Sommer insgesamt 100 europäische Autorinnen und Autorinnen von Finnland bis Zypern; auf der gesamten Strecke finden Lesungen, Diskussionen und Workshops statt.

Und auch das Wandern soll in diesem Sommer nicht zu kurz kommen - es beflügelt die Gedanken, die Seele und den Körper sowieso. Deshalb erstürmte ich gleich am Sonntag nach meiner Rückkehr den Kaitersberg und den Burgstall, auf dem ein Fernsehturm steht: Eine wehmütige Erinnerung an meine Wanderung im Mecsek-Gebirge ...

Und dann gilt es natürlich noch die mitgebrachten Texte und Ideen zu verwerten. Das wird wohl noch eine Weile dauern. Irgendein Eisen ist immer im Feuer und ich freue mich wie verrückt auf die Veröffentlichung meines ersten Romans im August, die mein Verlag auf den Weg gebracht hat, während ich weg war. Inzwischen steht meine Autorinnen-Seite auf Facebook, es gibt schon erste Vorbestellungen für das Buch und bald werde ich euch hier informieren, wo die Buchpräsentation von Brot und Bitterschokolade stattfindet - voraussichtlich nach den Sommerferien. Davor lese ich Lyrik bei der Sechsten Nacht der Poesie am 24. Juni im Herzogspark - gemeinsam mit lieben Autoren- und Autorinnenkollegen. Brandneue Gedichte aus Pécs werde ich dort sicher auch vortragen. Am gleichen Wochenende ist Tag der offenen Ateliers im Oberpfälzer Künstlerhaus (das mir ja auch den Aufenthalt in Pécs ermöglicht hat). Ich bin schon gespannt auf die dortigen internationalen StipendiatInnen ... So ist schon wieder einiges los in meinem Leben als Teilzeit-Schriftstellerin - und (natürlich nicht) nebenbei arbeite ich ja auch noch im Bereich der Regensburger Unterwelt ...

 

schriftstellerin regensburg
Auf den Spuren berühmter Dichter: Im Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg

plötzlich Pécs

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die schöne Unbekannte

umarmte mich

mit ihren Gegensätzen

zwinkerte mir Regentropfen

auf blühende Kastanien

und hielt mich fest

in meiner Mitte

ich ließ mich schreiben

von Café zu Café

ein jedes wie eine

kleine Universität

das Herz der Stadt

krönt eine Kuppel

sogar ihr Staub ist weicher

als daheim -

endlich begreife ich

den Unterschied

zwischen makellos

und schön

Goodbye, Pécs

Autor Regensburg

In diesem Mai habe ich viele Dinge zum ersten Mal getan: Das erste Mal länger in Ungarn sein -  ein Arbeitsaufenthalt mit Selbsterfahrungs- und Urlaubsgefühlen. Und das allererste Mal in Pécs. Das schließt viele erste Male mit ein, praktisch jeden Schritt auf Straßen und Plätzen, in Gassen, Gebetshäusern dreierlei Religionen, Museen. Und natürlich die Cafés, in denen ich so ausgiebig zum Schreiben gekommen bin. Dort gab es auch viele zweite, dritte ... Male. Und heute: vieles zum letzten Mal. Ich versuche, ganz beiläufig den Széchenyi-Platz zu überqueren und so zu tun, als sähe ich die katholische Moschee, deren Kuppel den Platz nun mal dominiert, nicht zum letzten Mal, als ginge ich nicht ein letztes Mal die Király-Straße entlang, als sähe ich nicht zum letzten Mal die wie mit feinem Bleistift hinskizzierten Trauflinien der Gebäude. Zuvor habe ich den vorletzten (in der Nappali Bar) und den wirklich letzten Cappuccino (in der Kisülés Kávéműhely) getrunken und die allerletzte Limonade ... ich habe in mein Tagebuch geschrieben (was sonst) und überlegt: Was bleibt hier von mir außer einer angebrochenen Packung Earl Grey? Und was möchte ich mitnehmen?

Die Antwort auf beide Fragen: Meine Texte. Sie bleiben hier, weil ich einen Beitrag zum Blog des Pécs Writers Program leiste - Auswahl und Übersetzung ins Ungarische nehmen freilich noch ein wenig Zeit in Anspruch. Außerdem wird es eine Anthologie mit Texten ehemaliger Stipendiaten und Stipendiatinnen geben; ich fühle mich geehrt, dass ich dabei sein darf und Texte von mir ins Ungarische übersetzt werden! Und meine Texte kommen mit, weil ich länger davon zehren werde. In der Literatur wie im Leben (falls es da überhaupt eine Trennlinie gibt). Sie werden mir über das Heimweh nach Pécs hinweghelfen - denn das Pécs-Gefühl kommt mit. Das Gefühl, bei mir zu sein, egal wo ich bin und was ich tue. Denn in ein paar Tagen schon tauche ich wieder ein in meinen Alltag, und ich fühle mich gestärkt dafür. Gelassener vielleicht. Und dankbar für alles, was ich habe. Denn ich habe hier einerseits viel Lebensfreude gesehen: Junge Menschen auf Caféterrassen oder den Innenhöfen von Kneipen, Kinder, die am Springbrunnen spielen, und viel mediterranen Genuss. Aber da waren auch viele Menschen, die um Geld baten. Menschen, die aus der Bahn geworfen wirkten und deren Gesichter traurige Geschichten erzählten. Das gibt es bei uns zu Hause auch - doch hier erscheinen mir die Gegensätze noch stärker; auch im Straßenbild. Der Széchenyi-Platz ist das Herz der Stadt; ein öffentlicher Raum, in dem man sich gerne aufhält, mit prächtigen Gebäuden und Fassaden und - natürlich - Caféterrassen, von denen aus man Zaungast vieler kleiner Straßenszenen werden kann. Spielende Kinder (dank Autofreiheit), waghalsige Bergabfahrten mit Kinderrädern, Straßenmusik, Jugendgruppen und Liebespaare. Auch auf vielen anderen Straßen und Plätzen lässt es sich wunderbar flanieren. Dann gibt es noch die anderen. Die Straßen mit höchst eigenwilligem Charaker. Mit verschiedenen Belägen oder Klee, der aus den Ritzen wächst und die - manchmal bröckeligen - Fassaden mit dem Gehsteig verbindet. Straßen, in denen die Häuser noch eine Seele haben - und ihre Eigentümer vielleicht nicht genügend Geld, um umfassend zu sanieren. Darin liegt auch eine Chance. Pécs ist eine Stadt mit Substanz, und es ist noch nicht raus, wie diese sich in Zukunft entwickelt. Pécs fühlt sich leicht an, langsam und entspannt. Das liegt zum einen natürlich an meiner privilegierten Situation. Zum andern daran, dass die Stadt nicht überfüllt ist. Angenehm für mich - jedoch: Die Stadt hat mehr Besuch verdient. Ich werde es jedem weitersagen, wie schön sie ist und wie viel es zu entdecken gibt, vom Zsolnay Kulturviertel über die Museen, die Gastronomie und das Stadtbild an sich. Auch die Lage direkt am Mecsek-Gebirge ist ziemlich einzigartig. Meine Rundwanderung über den Fernsehturm hätte mir Lust auf weitere Wanderungen gemacht, und den Abstecher ins Weinbaugebiet habe ich auch nicht mehr geschafft.

Jedenfalls: ich bin dankbar für das, was ich erleben durfte und das, was ich am Schreiben habe, an meinem Leben zuhause und nicht zuletzt auch an Menschen, die meinen Aufenthalt hier wohlwollend verfolgt haben.

So. Bevor ich jetzt endgültig rührselig werde: Was tut eine Literaturstipendiatin an ihrem letzten Tag in Pécs? Am Morgen brachte ich meine Freundin aus Regensburg zum Bahnhof, mit der ich hier drei Tage lang noch etwas Urlaubsgefühl und Freundinnen-Zeit erleben durfte. Da konnte ich den Abschiedsschmerz schon einmal üben.

Dann "nach Hause" zum Packen und Aufräumen. Und anschließend doch noch ein erstes Mal: Ins Einkaufszentrum in den Media Markt. Der sieht natürlich genauso aus wie alle Media Märkte dieser Welt (zumindest so wie die, die ich aus Deutschland kenne). Denn ich wollte doch noch mehr mitnehmen: Nämlich Musik. Ich griff mir aufs Geratewohl einige Scheiben und wandte mich an eine Verkäuferin. Die rief ihren Kollegen; ob deshalb, weil er des Englischen mächtig war oder des Technischen, vermag ich nicht zu sagen - jedenfalls aktivierte er einen PC für mich und überließ mich meinem Schicksal. Über einen Barcodescanner sollten die Stücke aus der Datenbank abrufbar sein, aber das funktionierte nur lückenhaft, die Menüführung mit Suchfunktion natürlich Ungarisch. Vielleicht habe ich sie sogar richtig bedient - trotzdem konnet ich nur drei Scheiben anhören: Eine CD, die klang wie ein Worst-of der Zweitplatzierten aus dem nationalen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest; eine weitere mit Geräuschen irgendwo zwischen Thrash Metal und Ich-weiß-nicht was. Die dritte aber sprach mich schon vom Titel her an: Adieu les complexes von Beáta Palya, die in ihrer Musik verschiedene Elemente ungarischer und bulgarischer Volksmusik mit weiteren Einflüssen vereint. So tanze ich angefüllt mit Eindrücken nach Hause - und kann dort das Pécs-Gefühl mit ungarischer Musik wieder herholen ...

 

Und was kommt jetzt? Ich habe wieder mal mehr und anderes geschrieben, als ich eigentlich wollte. Ich werde auf jeden Fall noch einen Best-of-Pécs-Beitrag schreiben, mit schönen Fotos und einer Linkliste englisch- und deutschsprachiger Seiten, die mir bei meinem Aufenthalt auch weitergeholfen haben. Ich glaube, ich wiederhole mich, aber: die Stadt ist wunderschön und sehenswert. Und an der Sprache soll's nicht scheitern!

Außerdem habe ich noch das eine oder andere Gedicht in petto.

Also schaut mal wieder rein, welche Spuren Pécs auf diesem Blog hinterlässt!

 

Pécs: Begegnung mit mir selbst

Zwischen den letzten beiden Einträgen über Pécs ist eine Woche vergangen. Das bedeutet aber nicht, dass ich nichts geschrieben habe. Im Gegenteil: Ich überarbeite ein Romanmanuskript, texte Blogartikel - und ich schreibe sehr viel in mein Notiz- und Tagebuch. Am liebsten in einem Café, mit Geschirrgeklapper, dem Zischen der Kaffeemaschine und den Stimmen der anderen Gäste um mich herum. Dann stellt sich dieses Gefühl konzentrierter Zeitlosigkeit ein, das die Ideen fließen lässt.

 

Durch das Schreiben leben

Auch darum bin ich hier: um Raum für mein eigenes Schreiben zu haben, in einer fremden und anregenden Umgebung. Denn wie viele Autoren und Autorinnen habe ich einen Erstberuf, von dem ich hauptsächlich lebe. Diese vier Wochen bieten mir das Privileg, mich einmal nur dem Schreiben hingeben zu können. Weil es das Pécs Writers Program gibt, das Oberpfälzer Künstlerhaus und nicht zuletzt meine Kollegin, die mir in vier Wochen unbezahltem Urlaub den Rücken freihält.

Vielleicht lebe ich nicht vom Schreiben - auf alle Fälle aber durch das Schreiben. Für meinen Aufenthalt hier hatte ich mir vorgenommen: Jeden Tag ein Gedicht, um das Erlebte, das Gesehene festzuhalten und zu gestalten. Das klappte aber nur am Anfang. Stattdessen füllte ich bald Seite um Seite meines Tagebuchs.

 

Luft zum Atmen oder: Wer bin ich?

Wer bin ich, wenn ich so gut wie aller Pflichten enthoben bin? Was darf sich zeigen? Wie aufregend oder gar beängstigend ist die Begegnung mit mir selbst?

Es ist keine Überraschung, dass ich viel Zeit für mich benötige. Nach zwei Todesfällen in der engeren Familie Ende 2014 war der Bogen immer straff gespannt, ich funktionierte gut - zu gut vielleicht. Wie immer gab das Schreiben mir Trost und Sicherheit, doch das Leben kam mir immer schneller, immer voller vor.

Jetzt ist plötzlich Luft zum Atmen. Und ich genieße es, bis hin zur Einsiedelei. Die Stadt macht es mir leicht, alleine unterwegs zu sein; die Museen, die Moscheen, Synagogen, Kirchen, das Zsolnay-Kulturviertel auf dem Gelände der Keramikfabrik und die Konferenz, an der ich vergangene Woche teilnehmen durfte. Sie bescherte mir Einblicke darein, was es bedeutet Kulturhauptstadt Europas zu sein (wie Pécs 2010), zu werden oder sich überhaupt nur um den Titel zu bewerben - gerade auch für Städte in Osteuropa. Denn die Sicht des Westens ist - aus meiner eigenen, sehr subjektiven Perspektive - doch oft ziemlich eingeschränkt gegenüber der Vielfältigkeit und Geschichte der neueren Mitgliedsstaaten der EU.

 

Eine Frage der Perspektive

A propos eingeschränkte Sicht. Wenn ich schreibe, kommen "meine" Themen nicht explizit daher, sondern zeigen sich im Spiegel des Erlebten.

Wenn ich durch eine Stadt spaziere, deren offizielle Landessprache ich nicht beherrsche, und mir die Menschen auf unterschiedlichste Weise entgegenkommen - sich um mich und meine Bedürfnisse bemühen.

Wenn ich auf jüdische Spuren stoße, auf osmanische - und auch auf deutsche.

Wenn ich auf Menschen treffe, die in Ungarn oder Rumänien (wie meine Konferenz-Sitznachbarin) beheimatet sind - und die das über Jahrhunderte bewahrte kulturelle Erbe ihrer deutschen Vorfahren als Teil ihrer Identität begreifen.

Wenn ich auf der Seite des ungarndeutschen Lenau-Vereins lese: "Der Lenau Verein nimmt zwischen Ungarn (unsere Heimat) und Deutschland (unsere kulturelle Mutternation) eine Brückenrolle wahr."

Dann denke ich über Heimat nach und über Identität. Und ich frage ich mich: Wie können wir in Deutschland heutzutage annehmen (oder verlangen), dass Zuwanderer sich möglichst schnell und unauffällig "integrieren"? Speist Identität sich nicht immer aus mehreren Quellen - und in manchen Fällen eben aus sehr unterschiedlichen?

 

Was heißt das eigentlich: Heimat, Integration, Identität?

Meine Heimat ist Niederbayern. Ein Landstrich, in dem es weniger jodelt als im bekannteren Alpen-Bayern. Wo die Menschen verhaltener und trotzdem lustig sind. Ein Donauland. Dort bin ich geboren und aufgewachsen und es hängen Gefühle daran. Vollständig integriert fühlte ich mich dort aber nicht: Meine Eltern, die Flüchtlingskinder, hatten eine andere, durch den Nationalsozialismus verwirkte Heimat. Der Dialekt und der nicht-katholische Glaube unterschieden sie von der alt-eingesessenen Bevölkerung. Ich selber lernte Niederbayerisch in der Schule, durfte im Schulgottesdienst nicht zur Kommunion ("die Bösen und die Evangelischen sowieso nicht"), und das mit Schlesien war ein irgendwie exotisches Echo aus fernen Zeiten. Ein familiäres Hintergrundtrauma, mit dem ich nicht unmittelbar etwas zu tun hatte.

Erst heute - ja, vielleicht erst seitdem ich in Pécser Cafés diese vielen Tagebuchseiten zu Papier gebracht habe - komme ich diesem diffusen Gefühl auf die Spur, das mich so lange schon begleitet; ein Gefühl, das mich manchmal rast- und ratlos macht und das sich in vielerlei Gestalten zeigt. Da ist der Bruchteil eines Zögerns, mit dem ich manch spontane Gelegenheit ungenutzt vorübergehen lasse. Da ist die Leere, die sich manchmal auftut, wenn ich auf mich gestellt bin und Entscheidungen nur von meinen eigenen Bedürfnissen abhängen. Oder die Freude der Begegnung, die sich manchmal wie ein Schock anfühlt und tieferen Kontakt verhindert. Dabei mangelt es mir nicht an Selbstbewusstsein. Das Gefühl geht tiefer: Es ist das Gefühl von Nicht-Zugehörigkeit, vielleicht sogar von Nicht-Berechtigtsein. Die Angst, Raum einzunehmen, vor allem auf unbekanntem Terrain.

Es tut gut, es zu benennen. Denn wie so viele Gespenster scheut dieses Gefühl das Tageslicht; jetzt, wo ich darüber schreibe, beginnt es sich schon aufzulösen. Was natürlich auch mit dem Prozess zu tun hat, der diesem Text voranging.

 

Es hilft, den Fuß auf unbekanntes Land zu setzen

Ich bin berechtigt, hier zu sein. Jemand hat mich mit diesem Stipendium ausgezeichnet und in meinen Texten gelesen, dass ich es verdiene. Und fand nichts "Unberechtigtes" daran, dass ich während des Schreibstipendiums auch biografisches Material poetisch aufarbeiten wollte.

Nun lebe ich den Traum, Vollzeit-Schriftstellerin zu sein. Ich darf stundenlang in einem Café sitzen und über mich selbst schreiben. Das mag nicht gesellschaftsrelevant sein, doch für mich persönlich sehr bedeutsam. Und es lehrt mich wieder etwas über (biografisches) Schreiben. Ich bin berechtigt, hier zu sein - mitten in Europa. Ich kann überall hinreisen, in alte und neue, in eigene und fremde Heimaten und selbstverständlich auch in meine Phantasiewelten.

Dabei bin ich nicht auf der Durchreise. Ich komme an, und ich werde wieder nach Hause fahren. Dazwischen BIN ich. Hier. Und mache Erfahrungen, die in die Substanz meiner literarischen Arbeit einfließen werden. Mein Schreiben ist eine zuverlässige Heimat, eine geografisch unabhängige Wurzel auf dem Kompost meiner Herkunft.

 

Am Mecsek-Gebirge

Liebesroman Regensburg

Und ich befürchtete schon, ich brauche sie gar nicht: Die mitgebrachten Trekkingstiefel und die Wanderkarte aus dem örtlichen Tourismusbüro. Doch der Fernsehturm nördlich von Pécs lockt unübersehbar, beim Durchstreifen der Stadt taucht er immer wieder unvermutet im Hintergrund auf oder hüllt sich geheimnisvoll in Nebel. Und heute zog ich endlich los, bei stabilem Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen. Die erste Etappe auf den Havihegy brachte mich ganz schön ins Schnaufen und Schwitzen - man kann eben nicht ungestraft drei Wochen lang hauptsächlich schreiben und nur zum Besichtigen und Kaffeetrinken vor die Tür gehen :-) Doch bei der tollen Aussicht vergaß ich die mangelnde Kondition, und unterhalb der Kapelle Maria Schnee legte ich eine Teepause ein und genoss den Blick über die Stadt. Nachdem ich noch einen Blick in das Innere der Kapelle geworfen hatte, ging ich weiter zum Tettye-Platz mit den Ruinen eines bischöflichen Sommerpalastes. Rund um die Parkanlage gruppieren sich Biergärten, Restaurants und ein Arboretum, d.h. ein botanischer Garten, der überwiegend mit Gehölzen bestückt ist. Ich habe diesen außergewöhnlichen Park auch schon besucht - allerdings vertrieb mich an diesem Tag ein Gewitter vom Berg. Heute war die wichtigste Einrichtung am Tettye tér aber der Tom-Laden. Diese Tante-Emma-Läden gibt es hier an jeder Straßenecke und sie haben fast immer geöffnet, wenn man sie braucht. Ich kaufte mir also eine Flasche Wasser und ein Mohnhörnchen und fand den Einstieg zu einem schönen, schattigen Wanderweg - bald deckten sich auch die Markierungen mit meinem Kartenmaterial (gelber Balken) und ich gelangte zum Dömörkapu bzw. zu einem großen Parkplatz. Zum einen befindet sich hier die "Bergstation" der kleinen Mecsek-Waldbahn, deren Schmalspurgleis zum Zoo hinunterführt, der - wie ich gerade erfahren habe - nach zweijähriger Umbaupause erst dieses Wochenende wiedereröffnet wurde.

Statt in die Bahn zu steigen, machte ich einen Abstecher zum Rastplatz Flóra. Allerorten brannten schon gemütliche Lagerfeuer und am Hang hoch über dem Tal lagerten zwei Mountainbiker wie im schönsten Tourismusprospekt. Die Anhöhe bietet nämlich einen wunderbaren Ausblick auf die Landschaft nördlich von Pécs - endlose grüne Bergrücken und stillgelegter Tagebau. Und dann folgte ich wieder dem gelben Balken bis zum Fernsehturm auf der Misinahöhe. Der Turm ist etwa so alt wie ich und das höchste Gebäude Ungarns, so steht es im Aufzug zu lesen. Ob das noch aktuell ist, weiß ich nicht - die Aussichtsplattform befindet sich gut 80 Meter über dem Boden, also hoch genug ... aber seht selbst. Genau: die Bilder dieses Tages sprechen für sich. Für den Rückweg suchte ich mir eine etwas kürzere Strecke aus (vom Fernsehturm mehr oder weniger geradeaus bergab), kam beim Französischen Denkmal heraus und schlug dann doch noch einen Haken zurück zum Tettyepark, wo ich den Abend auf der Terrasse eines Weinlokals ausklingen ließ. Mit Blick auf den Felsen am Havihegy und das krasse Kruzifix von Sándor Rétfalvi.

Auf dem Heimweg verfiel ich in Melancholie: Das intensive Licht, das endlose Blau des Himmels, die Rosen an den goldenen Fassaden - und das Bewusstsein, dass sich bald die Schatten in den sonntagsstillen Gassen ausbreiten ... ein Glück, dass es Frühsommer ist und uns noch viele, längere Tage bevorstehen.

 

Vasarely

zwei schnobernde Schnauzen

zärtlich ineinandergeschnuffelte Ohrentiere

ich schreibe von Bildern ab

Zebrastreifen auf der Netzhaut

Claire: rote Wäscheklammer

schwarze Leinen

ein Rehblatt eine Streichelhand

Miss Europa im roten Kleid

haltet zusammen ihr Städte

ein Dolch und ein Ziegelherz

für das Bauhaus

ein Kohlkopf ein Mantelkragen

rote Lippen Zwiebelturm

Blumenblasenpatchwork

Briefmarkentapetensonnenscheindomtürme

Wolfspelz und Tütchenhütchen Hütchenkleider

Pfeile und hiergehtslang

eine U-Bahn ein leuchtender Raum

Jean Pierre Yvaral

ein All voller Klötzchen eine Klötzchenbrust

Stacheletagen und der Korridor

eines Raumschiffs

ein Stelenmeer vor dem Wabenhorizont

Lichtpunkte fernes Gleißen

aus wenigen Flächen die Wiedererkennung

der Präsidenten

Victor: square by square

wie sie aus der Reihe tanzen

geschnittenes Rund

das Große im Kleinen

die Diarähmchen verkehrt

ein Tischknauf ein Mäusemund

Kathedralen und lila

Schwarzweißmusik

ein Hochhaus ein Schaltplan

Verwerfung im Stadtgefüge

Gedankenblasen Formengedränge

ein scharfes Messer brauchst du

der Wind an den Museumsfenstern

verheddert in hölzernen Lamellen

Silberrinde Antennenorgel

Fischgrätparkettboden passend zur Kunst

ein Farbenklangraum

Spinnen spannen Netze

zwischen Wolkenkratzern

ein Schlüsselloch in der Zeit

Aztekenzeichen gestörte Strömung

Schallwellen ein Brustpanzer

alles steht Kopf und Bauch

Fenster Linse und Augapfelkern

geschmückte Kolben Relief

Raum-Zeit-Verzerrung

Laufmaschenmuster

kreisen strudeln tauchen

an-ecken

ein Zauberwürfelspielteppich

gefrorenes Glas

verschoben verwechselt

bunte Lichter bunte Schatten

ein Dämmern Verbleichen

Silbertaler im Wortgewand

eine Welt ein Spiegel der anderen

leuchtende Monitore

und wenn du dich anschleichst

kannst du die Räume

im Dunkeln sehen

 

Vasarely Múzeum Pécs 

Neue Schätze aus Pécs

Hunderoman Regensburg

Heute mache ich blau, lasse mich treiben. Es beginnt mit einigen längst fälligen Erledigungen. Zuerst zur Post - nicht zu irgendeiner Postfiliale, sondern zum Zentralen Postamt in der Jókaistraße; 1902-04 im eklektischen Stil erbaut (das bedeutet eigentlich nichts anderes als Stilmix, hier vor allem Jugendstil und ein bisschen Renaissance) und mit Keramik aus der Zsolnay-Fabrik geschmückt. Manche Reiseführer sprechen gar von einem Postpalast. Ich nähere mich durch die Citromstraße und von dort kann ich die Größe des Baukörpers und das herrliche emaillierte Dach gut erkennen. Es ist einer dieser Momente, in denen ich lieber genießen als fotografieren möchte, und so kann ich hier tatsächlich kein Bild anbieten. Das möchte ich noch nachholen ... einstweilen könnt ihr hier einen Eindruck vom Postpalast gewinnen.

Nach einer kleinen Zeitreise durch die Postgeschichte im Eingangsbereich stolpere ich fast automatisch in die große Schalterhalle neben dem Automaten, wo man eine Nummer ziehen muss. Ich habe die Auswahl zwischen ungefähr zehn verschiedenartigen Anliegen, allein: bis auf Western Union verstehe ich nichts. Auch die Vokabel belyég aus dem Onlinewörterbuch ist auf dem Display nicht zu finden. Zum Glück erfahre ich von einer jungen Frau, dass Briefmarken in dem kleinen Shop nebenan erhältlich sind. Auch dort eine lange Schlange und also für mich genügend Zeit, mir ein paar Begriffe aus dem Reisewörterbuch zurecht zu klauben. Die Dame am Schalter wirkt leicht genervt und beherrscht in etwa so gut Englisch wie eine durchschnittliche bayerische Postagenturangestellte wahrscheinlich auch. Erschwerend kommt hinzu, dass ich nur fünf Postkarten kaufe, dazu aber zehn Briefmarken will! Die Dame vergewissert sich mit Hilfe ihrer zehn Finger über meinen Wunsch und so kommen wir glücklich ins Geschäft. Nach den Luftpostaufklebern wage ich mich trotzdem nicht mehr zu erkundigen.

Wie einfach dagegen läuft es am Bahnhof, wo ich an einem Schalter für internationale Tickets die noch fehlende Reservierung Kelenföld-Linz für die Rückfahrt kaufen kann. Beeindruckend auch die öffentliche Toilette: Eine vergnügte Rezeptionistin stempelt einen Zettel von der Größe eines halben Klopapierblattes - die Quittung für die 120 Forint Benutzungsgebühr - und weist mir einen Platz auf der sauberen, modernen Toilette an (bzw. die richtige Tür dorthin).

Anschließend würdige ich die Schönheit des Bahnhofs sowie die österreichischen Durchsagen und sehe mich dann noch auf dem Bahnhofsvorplatz bei den Bussen um. Am westlichen Ende befindet sich ein Kleinod mutmaßlich sozialistischer Baukunst (man beachte auch die farbliche Abstimmung der Busse), in dem ich nach einigem Suchen den (kostenlosen) Linienplan bekomme. Eine weitere kompetente Bahnmitarbeiterin gibt mir den Tipp.

Und dann verliebe ich mich tatsächlich ein bisschen in die Gegend um den Bahnhof. Über die Busse hinweg sind der Fernsehturm und die Hänge des Mecsek-Gebirges besonders gut zu sehen, und in den Seitenstraßen zwischen den Magistralen gibt es stattliche Häuser mit viel Grün drumherum; über einem Balkongeländer hängen Teppiche und darauf hat es sich eine Katze bequem gemacht. Und die Szabadság u., die in Richtung westliche Altstadt führt, weist zwar alle Merkmale einer Bahnhofsstraße auf - blinkende Lichter, Telefonläden, Schnellimbiss - , trotzdem lässt es sich dort gemächlich schlendern.

Und dann gibt es da noch den Paprika és Böllerbolt, der mir auf dem Hinweg schon aufgefallen ist - wegen der Namensähnlichkeit zum Böller Altstadtmarkt in Regensburg :-) Der Laden in Pécs ist ein Paradies voller Gewürze, Tee und Teigwaren; Messer, Bindfäden und Bolzenschussgeräte gibt es auch und daneben hängen Würste. Die sehr nette Frau dort berät mich mit Hilfe weniger, aber ausreichender gemeinsamer Schlüsselbegriffe - immerhin weiß ich inzwischen, was Thymian heißt, und identifziere den Erkältungstee (den seht ihr im Titelbild). Sicherheitshalber huste ich der jungen Frau noch etwas vor und sie bestätigt lachend meine Wahl. Auch das Onlinewörterbuch muss wieder einmal herhalten, manche Kräuter erkenne ich auch am Aussehen. Dann kaufe ich noch ein paar Gewürzmischungen, extrascharfen Chili und natürlich süßen Paprika (diesen Ausdruck kennt die Händlerin auf deutsch).

Am liebsten hätte ich gefragt, ob ich von all dem noch ein Foto machen darf, doch da betritt schon eine ältere, liebenswürdig aussehende Dame den Laden. Deshalb lasse ich es gut sein und ziehe mit meinem Tee- und Gewürzpäckchen, vorbei am Naturwissenschaftlichen Museum und mit einem Zwischenstopp im Kaffeehaus Next step coffee (hier schmeckt mir der Kaffee bis jetzt am besten), zur Türbe des Idris Baba aus dem 16. Jahrhundert. Eine Türbe ist ein muslimisches Mausoleum und Idris Baba soll ein Kräuterkundiger gewesen sein, genau wie meine freundliche Teehändlerin. Anschließend treibt mich ein scharfer Wind zurück in die Altstadt, und ich nehme endlich die Museumsstraße bewusst wahr, die ich bei meinen bisherigen Stadtspaziergängen irgendwie immer ausgelassen habe - dabei zählen die Museen rund um die Káptalan u. (Kapitelgasse) zu den Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt und sind kaum zu übersehen: Die Kunstmuseen Csontváry Museum, das Vasarely Museum und das Zsolnay Museum bilden mit weiteren Ausstellungshäusern der Stadt  das Janus Pannonius Múzeum. Das eine oder andere davon werde ich mir sicher ansehen - allein oder zusammen mit meinem Besuch aus Regensburg, der sich für Ende Mai angekündigt hat.

Und weil dieser Tag wirklich kräftezehrend war, kehre ich anschließend noch in dem Döner-Restaurant Jam ein - danke für den Tipp, Károly :-)

Und wenn sich das hier langsam wieder liest wie ein Gastroführer: Das Kulinarische gehört zur Kultur, oder etwa nicht? :-)

 

 

Gewitter über der Moschee des Jakovali Hassan

 

freundliche Formen

 ein Zeugnis der Osmanen

auf quadratischem Grund

alle Seiten gleich lang

ihre Fenster werfen

ein mildes Licht auf mich

zwischen den Teppichen

die Hände im Schoß gefaltet

wie zum Gebet

bin ich geschützt

vor Regen, Blitz und Donner

unter dem Dach

des Pascha 

 

 

Pécs, 5. Mai 2016

 Jakovali Hassan Moschee

 

 

autor regensburg

Spracherkundungen

regensburg autor

 

Wie kommt man in der Fremde zurecht, wenn man die Sprache nicht versteht? Die Situation macht demütig gegenüber der Lage von Flüchtlingen, die nicht freiwillig reisen wie ich. Immerhin teilt meine Muttersprache mit dem Ungarischen das Alphabet. Nur manche Laute werden mit ein oder zwei nahezu halsbrecherisch schiefen Strichen gedehnt.

Zumindest versuche ich auf Ungarisch zu danken und zu grüßen. Der Rest funktioniert auf Englisch, Pantomimisch oder durch konkludentes Handeln. Zum Beispiel im Gemüseladen: Ein Jó napot! schmettern, Gemüse einsammeln und auf die Theke legen; ein kleines Stückchen Thermopapier sagt mir, was ich schuldig bin: Köszi, lieber Gott und Allah, für die arabischen Ziffern! Denn Zählen und Beten, das lernt man in einer Fremdsprache nie so richtig - das erklärte mir meine ungarische Nachbarin (mit einem lediglich klitzekleinen Akzent) in dem niederbayerischen Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Hätte ich damals nur besser aufgepasst, als sie ihren Kindern Ungarisch beibrachte. So kann ich heute, bis auf den vertrauten Klang der fremden Worte, kaum auf etwas zurückgreifen. Trotzdem gibt es Tricks und Hilfen: In der Filiale einer deutschen Drogeriemarktkette treffe ich auf wohlbekannte Produkte. Das stelle man sich in deutschen Supermärkten vor: Shampoo, Tee oder Slipeinlagen beschriftet auf, sagen wir mal, Arabisch. Und nur manches davon mit einem verschämten Aufkleber auf der Rückseite eingedeutscht. Vieles ist selbsterklärend, aber wer möchte schon die Rasiercreme mit der Zahnpasta verwechseln?

Ungarn ist kein Einzelfall. Schon beim Auslandssemester in Dänemark lernte ich, dass dort viele Fachbücher nur auf Deutsch oder Englisch verfügbar sind und Kinofilme für Erwachsene meist nur untertitelt werden. Vielerorts drängelt sich die deutsche Sprache einfach vor.
Auf diese Weise fand ich auch den Thymiantee gegen meinen Husten. Auf ungarisch heißt der Thymian übrigens kakukkfű - wer hätte das gedacht? Versteckte Hinweise dagegen gibt der Spitzwegerich, Lándzsás útifű. Lándzsá wie Lanze, und das Wort útifű kann eigentlich nur mit utca (Straße) verwandt sein, das mir hier überall begegnet. Trotzdem kam ich eher wegen der Aufmachung der Schachtel zu meinem Hustensirup - botanische Kenntnisse sind in fremden Umgebungen auch sehr hilfreich! Und trotzdem verbrachte ich noch geraume Weile mit dem Online-Wörterbuch vor dem Regal mit den Erkältungsmitteln. Warum mir das Smartphone ausgerechnet in diesem Moment den Internet-Zugang verweigerte, beibt rätselhaft. Und ich ahne: ernsthaft krank sein in der Fremde, dabei würde ich mich richtig hilflos fühlen. So aber kann ich ganz entspannt meine Spracherkundungen betreiben.

Zu Hause in Europa

Seit einer Woche schwebe ich hier in meiner eigenen Welt, einer Welt des deutschsprachigen Schreibens einerseits und der Begegnung mit Südungarn andererseits. Für aktuelle Informationen über das Land bin ich mangels Sprachkenntnissen auf deutsche Medien angewiesen, und natürlich interessiert mich auch, was zu Hause vor sich geht. Zu Hause? Damit meine ich natürlich Deutschland. Bayern. Regensburg. Aber irgendwie bin ich auch hier in Pécs zu Hause - hier in Europa. Und in meinem Heimatland Europa ist zur Zeit so einiges los. Eine ehemalige deutsche Ministerin namens Margot Honecker ist in Chile gestorben, und in London wurde ein muslimischer Bürgermeister gewählt, ein Einwandererkind aus Pakistan.

Auch meine Eltern waren gewissermaßen Zuwanderer. Dabei weiß ich nie so genau, wie ich ihr Geburtsland nennen soll. Die Behörden scheinen es auch nicht zu wissen: In der Sterbeurkunde meines Vaters ist als Geburtsort Polen angegeben, bei meiner Mutter Schlesien. Und je nach Definition habe ich mal Migrationshintergrund, mal keinen.

Was hat das nun mit Ungarn zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel. Doch Ungarn war das Land, in dem der Eiserne Vorhang löchrig wurde - was letztlich dazu führte, dass meine Verwandten aus Sachsen näher gerückt sind. Letztes Jahr dann die Wanderung von Regensburg nach Pilsen: Grenzüberschreitend, in zehn Etappen, Seite an Seite mit deutschen und tschechischen Autoren und Autorinnen. Und die Geburtsstadt meiner Mutter ist Europäische Kulturhauptstadt 2016.

Dass ich heute so einfach in den einstigen "Ostblock" reisen kann, ist eine beglückende Erfahrung. Andersherum gilt das sicher auch, aber ich ahne, dass die unterschiedlichen Preisniveaus eine empfindliche Schranke sind, während ich hier sehr gut mit meinem Bugdet auskomme.

Aber auch mir ist der Luxus nicht in die Wiege gelegt: Ich wuchs auf einem Bauernhof auf, ohne Zentralheizung, in zugig-feuchten Gemäuern mit schiefem Dach und abbröckelndem Putz. So manche Straße in Pécs - vor allem außerhalb der historischen Stadtmauern - erinnert mich daran, dass es das auch heute noch gibt. Pécs ist bei Weitem nicht so durchsaniert und saturiert, wie mir Regensburgs Altstadt inzwischen erscheint.

Hier in Pécs erzählen die Gehsteige in mehreren Schichten von ihrem Werdegang, Randsteine sitzen schief oder fallen aus wie alte Zähne. Und Straßengrün kann auch heißen: Löwenzahn und Klee, der aus rissigen Teerdecken sprießt.

Auch auf diesen Straßen fahren Autos und die Passanten sehen aus wie du und ich - und schon an der nächsten Straßenecke kann ein Café auf dich warten, in dem das Brühen von Kaffee in höchster Vollendung zelebriert wird. Verschiedene Zubereitungstechniken und Röstungen inklusive. Ich wage zu behaupten: Das fehlt uns in Regensburg in dieser Feinheit.

Je länger ich schreibe, desto mehr Gegensätze drängen sich auf; zwischen meiner eigenen Gewohnheit, die Welt wahrzunehmen und dieser fremden, schönen Stadt, die auch in sich so viel Verschiedenes vereint. Das ist ja auch der Zweck des Reisens: Dass mein Horizont sich weitet und ich ein Stück mehr von diesem Europa kennenlerne, in dem ich zu Hause bin.

 

Perlenfunde

 

das Öffnen und Schließen

der Plätze

wie die Schalen einer Muschel

meine Augen ihr Ligament

der Fuß stößt sich ab

und ich schwimme

im fremden Sprachraum

zwischen den Kiemen

Wörterperlen

verborgenen Sinnes

und schön

 

 

Pécs, 3. Mai 2016

Kossuth tér

 

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In- und außerhalb der Stadtmauern von Pécs

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Oft habe ich aus Sehnsucht geschrieben, aus dem Gefühl eines Mangels. Doch wie man sieht, mangelt es mir hier an nichts, und Fernweh steht auch nicht zur Verfügung. Ich muss mir also andere Inspirationen suchen - davon gibt es zum Glück mehr als genug. Heute wagte ich mich zum ersten Mal durch die Stadttore, erklomm den Kalvarienberg und erkundete die weniger aufgemotzten Straßen und Gassen. Da waren natürlich die prächtigen Fassaden, aber auch der Boden erzählt so seine Geschichten - in Schichten sozusagen. Und jetzt lasse ich auch schon die Bilder sprechen ...

Ankunft in Pécs

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Nun bin ich also hier. In Pécs. Weit im Südosten - von zu Hause aus gesehen. Gute zehn Stunden flog ich im Zug unter tief hängenden Wolken dahin. Beim ersten Zwischenstopp in Linz wehte mir ein kalter Wind um die Ohren, bald darauf sagte ich mein erstes ungarisches Wort: Köszönöm. So bedankte ich mich bei der Ungarin, die wirkte, als hätte sie mir persönlich den reservierten Sitzplatz freigehalten, während ich mich geduldig durch Rentnergruppen und Kofferberge kämpfte. Und ich war stolz, zumindest dieses eine Wort schon mal erfolgreich angewendet zu haben! In Budapest-Kelenföld sah der Himmel ähnlich aus wie in Linz, aber die Luft war mild und frühlingswarm, und ich saß vor (oder hinter?) dem Bahnhof auf einer Bank.

Den ganzen Tag über schaute ich aus dem Fenster und hing meinen Gedanken nach. Nur einmal vertiefte ich mich kurz in ein Buch. Als ich wieder aufsah, waren die Fensterscheiben nass. Dunkelgrau trommelte der Regen auf das Zugdach, während der Zug in Dombóvár geteilt wurde. Ein ein angenehmer Wind wehte herein und milderte die erkältungsbedingte Hustenattacke. Die Bahnbediensteten draußen in leuchtendem Orange, die Kapuzen bis knapp über die Augen gezogen. Ankunft in Pécs kurz vor acht Uhr abends, es war schon fast dunkel. Wie schön, dass ich von meinen freundlichen Gastgebern abgeholt wurde: Károly und Enikő organisieren seit bald zehn Jahren ehrenamtlich das Pécs Writers Program. Beide sprechen sehr gut deutsch, was mir den Start natürlich enorm erleichtert. Eine kurze Fahrt im Auto, ein paar erklärende Worte, und die Wohnung gehörte mir. Ich kochte Erkältungstee, packte ein wenig aus und legte mich schlafen, das stetige Tropfen des Regens vor den Balkontüren.

Heute frühes Erwachen zum gleichen Geräusch. Wieder Teekochen und erstaunlich wenig Lust, rauszugehen. Dabei mag ich den Regen! Und natürlich war ich neugierig auf die Stadt. Doch die Erkältung bremste mich, und ich war einfach nur froh, nach der Hektik vor der Abreise endlich durchatmen zu können und keine bestimmten Pflichten zu haben. Doch das Klopapier war aus und so duldete der erste Einkauf keinen langen Aufschub. Ich brauchte nur einmal um die Ecke zu biegen, und schon stand ich mitten in der Altstadt auf der Kiraly utca. Über Sprachbarrieren hätte ich mir keine Sorgen zu machen brauchen: Das Sortiment im Drogeriemarkt bot einen vertrauten Anblick, und die Verkäuferin war sehr nett zu mir. Dabei hatte ich nur wenige ungarische Silben auf der Zunge und wusste oft nicht mal, ob und wie sie auszusprechen waren - wenn sie mir nicht ohnehin im Hals stecken blieben, weil mir die Erkältung mir auf die Stimme geschlagen hatte.

Auch im Gemüseladen kam ich gut zurecht. Der Anblick von Tomaten ist selbsterklärend und das Wort Paradicsom eigentlich auch. Nur die Währung ist gewöhnungsbedürftig: 1,50 Euro sind ungefähr 400 Forint ... Dafür gibt es zum Beispiel einen Cappuccino, der auch hier so heißt (wie praktisch).

Nach dem erfolgreichen Einkauf richtete ich mich endgültig an meinem kleinen Schreibtisch ein. Die nicht benötigte Tastaturschublade fasst die Laptophülle und den Keksteller, es gibt WLAN und genügend Steckdosen - und es ist wunderbar still und hell hier im Hinterhaus.

Womit beginnen? Schließlich bin ich zum Schreiben hier und nicht etwa aus touristischen Motiven. Ich schrieb meine Aufgaben auf kleine Klebezettel - Blogartikel schreiben, Altes Überarbeiten und Neues dichten - und heftete sie an die Innenwand meines Schreibtisches. Als erstes öffnete ich ein älteres Manuskript.

Und dann kam der neue Duschvorhang: Weiß und fein strukturiert wie ein Brautschleier wird er fortan verhindern, dass ich beim Duschen das Bad flute - ein willkommenes Accessoire. Das Anbringen freilich war mit einer gewissen Geräuschkulisse verbunden und anschließend ging es in der Nachbarwohnung weiter. Für mich das Signal zum Aufbruch: Ich wollte ja sowieso noch einmal in die Stadt. Also raus in den warmen Regen, vorbei an Cafés (eines zu betreten konnte ich mich noch nicht entschließen) bis zum Széchenyi Tér, der von der Moschee Gazi Khassim dominiert wird. Von dort aus weiter zur Kathedrale, während der Regen zuverlässig eine heimelige, verwunschene Stimmung über die Stadt legte.

Als es aufklarte, ging ich ins Café Fragola und trank zwei Cappuccino. Dabei schrieb ich sogar ein Gedicht. Es ist noch nicht so ausgegoren, dass ich es hier präsentieren möchte. Nur so viel: Es kommen Kastanien darin vor. Mächtige, prächtige Schutzbäume, grüngetränkt und mit weißen und rosafarbenen Blüten.

Der Anfang ist gemacht!

 

Auf nach Transdanubien

Firmen und Organisationen haben auf ihrem Internetauftritt meist eine Seite mit Antworten zu den häufigsten Fragen Ihrer Kunden, oder - zu neudeutsch - den "Frequently Asked Questions" (FAQ). Die Bahn zum Beispiel oder die Deutsche Rentenversicherung. Aber auch vor einer längeren Reise kann sich eine FAQ-Seite lohnen: Plötzlich wollen erfreulich viele liebe Menschen mit mir noch einen "letzten" Kaffee trinken, beglücken mich mit kleinen Abschiedsgeschenken und wünschen mir eine schöne Zeit. Und natürlich wollen alle wissen, wie das jetzt so abläuft mit Pécs und mir. Hier die Antworten zu den meistgestellten Fragen:

 

  • Ich fahre am Sonntag (1. Mai) um 9:27 Uhr - mit der Bahn nach Pécs in Südungarn (Wikipedia nennt die Region auch Südtransdanubien ...), nahe der kroatischen Grenze. Das dauert rund 10 Stunden und kostet mich 75 Euro hin und zurück. Ich steige jeweils zweimal um: in Linz und in Kelenföld (bei Budapest). Mein Dornröschen bleibt in seiner Garage und übers Fliegen habe ich gar nicht erst nachgedacht. Ich. liebe. nämlich. Bahnfahren. Und ich habe eine groooße Reisetasche und viel Lektüre für unterwegs.
  • Mein Stipendium heißt Internationales Stipendium Oberpfälzer Künstlerhaus im Pécs Writers Program. Danke hier nochmal dafür!
  • Vor Ort gibt es einen engagierten Ansprechpartner für das Pécs Writers Program, der mich bereits nach meiner Ankunftszeit gefragt hat - alles Weitere wird sich weisen.
  • Ich darf in einem Ein-Zimmer-Appartement in Zentrumsnähe wohnen. Andere Gast-Künstler residieren dort nicht.
  • Meine einzige offizielle Verpflichtung ist es bisher, etwas zum Blog des Pécs Writers Program beizutragen.
  • Das Wichtigste am Schluss: Ich werde schreiben, schreiben, schreiben. Und zwar Gedichte. Weil die Lyrik im Alltag oft zu kurz kommt und ich glaube, dass sie die beste Ausdrucksform für neue Eindrücke ist.
  • Und wenn das nicht klappt? Dann gibt es genug Ideen auf meiner Festplatte ...

 

... und natürlich mein Blog, auf dem ich euch auf dem Laufenden halte!

 

Abschied vom Trekkingrucksack

Vor bald einem Jahr ging mein gut 20 Jahre alter Trekkingrucksack mit mir auf die letzte große Fahrt: drei Wochen Britrail Ticket in Südengland und Wales. Seit er zerbröselt ist, habe ich mich davor gedrückt, ihn zu ersetzen. Doch am 1. Mai breche ich für vier Wochen nach Südungarn auf: zum Internationalen Stipendium Oberpfälzer Künstlerhaus im Pécs Writers Program. Es musste also ein neuer Großraum-Rucksack her. Oder ein Rollenkoffer. Oder eine Reisetasche. Am liebsten alles zusammen - diese Modelle gibt es zwar, doch sie sind rar und teuer, außerdem ist die Multifunktionalität ein fauler Kompromiss - für eine mehrtägige Hüttentour taugen sie trotz Tragesystem nicht. Es dauerte eine Weile, bis ich mir eingestand: Ich brauche keinen 90-Liter-Rucksack mehr. Nie wieder. Für die paar Meter am Bahnhof oder vom Zug zum Taxi ist ein Trolley praktischer, und man fegt damit auch keine Mitreisenden vom Perron. Also strich ich die Rucksackfunktion von der Anforderungsliste. Doch die Rollenkoffer wirkten spießig, die meisten Reisetaschen zu stylish, zu sportlich oder zu schrill. Schließlich fand ich doch noch eine schöne Tasche auf Rädern: Geradlinig, schwarz und blau. So genanntes "Weichgepäck". Bin ich ein Weichei geworden? Ach was. Der Abschied vom Trekkingrucksack birgt nur so viele andere Abschiede: Abschied von dem wilden Leben, in dem ich nach einer Nacht auf der Isomatte noch ohne die Hilfe einer Physiotherapeutin aufstehen konnte. Und zwar gut erholt. Abschied von den Zeiten, als ich noch am Stück 1.000 Höhenmeter zu Fuß überwinden konnte und anschließend aus Versehen einen Umweg von zwei Stunden ging. Abschied vom Leben mit leichtem, schwerem Gepäck. Aber es muss ja kein vollständiger Abschied sein: Ich habe ja noch den 40-Liter-Rucksack für die kleineren Touren; mehr kann mein Rücken ohnehin nicht tragen. Und der Taschentrolley hat zwei sehr stabile, große Henkel, die man zur Not als Rucksackriemen nutzen kann ...

Es geht nicht um den Autor. Es geht um den Text

Die meisten Menschen beginnen aus Freude mit dem Schreiben. Das kann und soll auch so bleiben. Doch wer professionell schreiben möchte, sollte neben der Leidenschaft auch etwas Leidensfähigkeit mitbringen. Leidenschaft, um bei der Stange zu bleiben. Leidensfähigkeit, weil ein guter Text vor allem durch Überarbeiten entsteht. Und das kann aufwändig und mitunter sogar schmerzhaft sein, wenn lieb gewordene Formulierungen nicht so recht in das Gesamtwerk passen wollen oder stilistisch verbesserungswürdig sind. "Kill your darlings" heißt ein schreibhandwerklicher Grundsatz aus dem angelsächsischen Raum.

 

Gut ist, wenn man versierte Testleser und Testleserinnen zu seinem oder ihrem Freundeskreis zählen darf. Doch nicht jedeR Testleser eignet sich für alles. Der eine kann besser Schwächen im Plot erkennen und benennen (ja, auch das ist wichtig: das Sprechen über Texte erfordert ein gewisses Repertoire). Die andere ist eine gute Stilkritikerin. Ein Schreibprojekt durchläuft verschiedene Phasen und deshalb ist es ratsam, den Rohtext nicht zu früh aus der Hand zu geben - sonst sind die Testleser vor der Zeit verschlissen und man selbst frustriert. Abgesehen davon, dass es wenig Spaß macht, eine Geschichte in unzähligen Versionen wieder und wieder zu lesen: Auch ein noch so aufmerksamer Leser wird die jeweils aktuellere Version nicht mehr völlig unvoreingenommen betrachten und die Wirkung auf die spätere Leserschaft nicht mehr so gut einschätzen können wie zu Beginn.

 

In der Anfangsphase eines Schreibprojektes kann es sinnvoll sein, nur darüber zu sprechen, um sich über den Plot sowie Motive und Charakter der Figuren klar zu werden. Das geht gut mit einem anderen Autor oder in einer Schreibberatung.

 

Erst, wenn man sich Feedback geholt und das Bestmögliche am eigenen Text getan hat, ist ein Lektorat empfehlenswert. Das macht normalerweise der Verlag. Doch um an einen solchen zu kommen, sollte das Manuskript schon vorher optimiert sein. Ideal ist dafür eine Partnerschaft mit einem anderen Autor oder Autorin - um sich gegenseitig zu lektorieren und voneinander zu lernen. Und natürlich gibt es Lektoren, die gegen Honorar arbeiten. Dieses sollte nicht zu niedrig sein - ein Lektorat für Manuskript, das man anschließend wegwerfen oder nochmal bearbeiten muss, ist kein Schnäppchen.

 

Nur eines ist hier fehl am Platze: Falsche Eitelkeit und verletzter Stolz. Denn beim professionellen Schreiben geht es gar nicht um den Autor, die Autorin: Es geht um den Text, der unsere absolute Aufmerksamkeit und Hingabe verdient hat. Getreu dem Leitsatz: Es gibt keine schlechten Texte. Es gibt nur unfertige Texte.

 

Ich erinnere mich

von Jo Storm. Minuten-Texte aus der Schreibwerkstatt

Fenster
Blick in den Garten. Vom Bahnhof aus die Rückseite. Züge fahren. Blumen blühen. Es duftet schon nach Mittagessen. Ich halte eine Raupe in der Hand.

Baum
Papa hat einen Kirschbaum geschenkt bekommen. Doch wohin in dem kleinen Reihenhausgarten? Neben der Wäschespinne? Geht doch! Inzwischen blüht er jedes Jahr. Der Baum – nicht die Spinne.

Schuhe
Sie tragen mich durch dick und dünn. Sie sind Schnittstelle zum Weg. Oft misshandelt und wenig gepflegt. Aber geh mal ohne Schuhe den steinigen Weg.

Regen
Ein Landregen an der Adria. Dicke Tropfen platschen auf die Straße. Wir schauen raus. Eine frische Brise umfängt uns.

Abend
Die Sonne senkt sich. Wir sitzen am Balkon und trinken Aperol Spritz. Die Woche ist geschafft. Da laufen Flüchtlinge vorbei. So ist die Welt.

Küche
Omas Küche war phänomenal. Nur klein, aber aus wenigen Zutaten buk sie mit Zauberhand Käsekuchen für alle.

 

Anleitung zum Dada

Dem hundertjährigen Jubiläum des Dadaismus zu Ehren

 

Mache drei Listen:
1. Fachwörter aus deinem Fachgebiet oder aus dem Bereich deines Hobbys. Oder noch besser: Lass dir von anderen solche Wörter schenken. Es macht nichts, wenn du nicht weißt, was sie bedeuten - z.B. Rüttelflasche, Splintholz, Kanalauskunft.
2. Konkrete Verben, z.B. leben, trinken, schlafen. Sie dürfen ganz gewöhnlich sein.
3. Vorsilben wie ab-, be-, de-, durch-,ent-,ge-,hin-, über-,ver-, weg-, zer-, ge-, ent-, ...

Kombiniere Wörter und Silben. Schreibe einen Text, z.B. eine Anleitung zu irgendetwas oder eine kurze Geschichte. Schaffe kreative Übergänge und verfremde das gefundene Material weiter, z.B. das Splintholz wegschlafen, die Aus- und Einkunft zertrinken. Zur Inspiration empfehle ich das Hörbuch "Lesen gehn..." mit Gedichten von Oskar Pastior -  oder den folgenden Text, der vielleicht nicht ganz dadaistisch ist, aber dafür schön absurd:

 

 

Schlafrausch

Sie hatten einander zugezwungen und das gemeinsame Leben erprostet. Er im Schlafrausch, sie im Negligé. Genossen in hellen Omnibussen. Kein Wagen zu rostig, kein Schienbein zu viel. Hatte er sie getreten zu gehen, allein: Sie blieb. Hinter dem Vorhang, doch unter der Wiese, die kein Golfschlag je zerrieb. Der Labrador entsagte. Blutsinnig und wutend gerieten sie, mit lockigen Schädeln ineinander geschubbert. Die Putzfrau fand nur noch die Krümel im Bett. Lästig und liebreich kletterten sie auf der morschen Leiter des Glücks. Fehlkontrolle, Dateien und Hellebarden waren meliert und gehörten gehasst, zerborstet im Wellenspiel des Liebesguts. Wie Strandpapier schmirgelt deine Wonne, wie Pampelmuse klebt dein Kraut. Wo Sinn, wohin? Kein anderes Tier.

 

(erschienen in: Literaturzeitschrift & radieschen - Heft Nr. 21: Schund und Fund & radieschen)

 

Marmeladenmenschen

Als ich ein Kind war, stand in unserem Hof ein riesengroßer Apfelbaum. Seine Früchte waren sauer und holzig. Man konnte sie nicht roh essen, doch meine Mutter verwendete sie als natürliches Geliermittel. Sie war eine hingebungsvolle Marmeladenköchin: aus Brombeeren, Stachelbeeren, roten und schwarzen Johannisbeeren, Erdbeeren und gelben Pflaumen zauberte sie wunderbare Gelees und Marmeladen - selbst dann noch, als es ihr schon nicht mehr gut ging. Als Kind half ich beim Einkochen, später bekam ich die Marmelade bei meinen Besuchen mit auf den Heimweg. Ich wusste: eines Tages würde die letzte Marmelade aufgebraucht sein. Und so kam es auch.

 

Trotzdem ist meine Speisekammer gut gefüllt: Da steht plötzlich zur Marmeladensaison ein bunt gefülltes Glas auf meinem Schreibtisch, oder eine Freundin, die einen Schrebergarten bewirtschaftet, zieht beim Kaffeetrinken lächelnd ein Einmachglas aus ihrer Handtasche. Und selbstverständlich kehre ich von der Reise zu Mutters Cousine mit einer Reisetasche voller Kostbarkeiten zurück.

 

Oft ohne es zu wissen, berühren Menschen immer wieder meine Marmeladenseite - die Stelle, an der meine Mutter fehlt. Nur ganz leise meldet sich dann Traurigkeit. Der Rest ist reine Freude. Und Dankbarkeit, dass es in meinem Leben eine Reihe Marmeladenmenschen gibt.

 

 

Schreibspaß im Künstlerhaus

Für Kurzentschlossene und zum Kennenlernen

schreibwerkstatt regensburg

Das Jahr ist gut gestartet: Nach meinem Umzug vom 1. Stock ins Erdgeschoss habe ich Lust, auch hier im Künstlerhaus Kurse anzubieten - vor allem für die treuen Fans der meiner Schreibwerkstatt an der VHS, denen sonst die Zeit bis zum nächsten Kurs zu lang wird.

Ideal auch für Interessierte, die meine Schreibwerkstatt kennenlernen wollen - denn jeder Abend ist einzeln buchbar.

 

Hier geht es zu den Einzelheiten wie Anmeldung, Kosten, Termine.

Worte

 

es gibt Kellerworte

und Dachbodenworte

manche lagern tief

in den Regalen

vor langer Zeit gepflückt

und eingeweckt

Wortkonserven

für sprachlose Zeiten

Worte wie Himbergelee

und Essigkurken

die anderen verstauben

unterm Dach

vergessen

vererbt

von oben herab

dazwischen die Wörter

für den Hausgebrauch

notwendig

praktisch

und gewöhnlich

Wörter, die den Betrieb am Laufen halten

Küchenwörter

unter dem Türstock und

am offenen Kühlschrank gesprochen -

 

und immer noch sammle ich sie

jage sie mit gespitztem Bleistift

Schublade um Schublade öffne ich

breite alles auf dem Boden aus

erwähle und füge sie

herausgeputzt

zurechtgestutzt

zu Sätzen

und poliere

bis sie glänzen

 

Gedichte kennen keinen Abspann

kein making-of und

keine Bonustracks