grau gähnt der Himmel
über dem schlafenden Garten
und atmet endlos aus
wovon träumen Rosen?
die Hochstämmchen
fest in Jute gewickelt
trotzen sie
dem Jahreslauf
beschnitten
den Schneeschleier im Nacken
ein Eisnadelwind
wiegt Gräser
in den Winter
Auf meinem täglichen Spaziergang über die Winzerer Höhen treffe ich den Weltenbummler wieder. Zuvor sind dicke, dunkle Wolken das Donautal hinunter gezogen und haben ein Schneegestöber ausgelöst,
in dem sowohl Kareth als auch die Domtürme kurzzeitig verschwanden. Das dünne Weiß vermag die braunen Felder und grünen Wiesen nicht ganz zu bedecken, doch etwas winterlicher ist es nun -
endlich. Dann reißt die Wolkendecke wieder auf. Während Teile der Landschaft im Nebel liegen, gleißt bei Mariaort die Sonne auf dem Fluss und der Himmel leuchtet. Von irgendwoher höre ich meinen
Namen rufen; auf dem Grillplatz brennt ein lustiges Lagerfeuer. Der Weltenbummler hat im Zelt übernachtet, seine Outdoor-Ausrüstung ist gut in Schuss, nur etwas trockener könnte es sein, aber das
Schneetreiben hat dem Weltenbummler und seinem Feuerchen nichts anhaben können. Ein Wintermärchen! meint er nur. Wir plaudern ein wenig, zwischendurch ruft ein Freund aus Bulgarien an, eine
Telefonnummer wird notiert und ich verstehe sogar zwei, drei Zahlen, weil sie ähnlich wie im Tschechischen klingen. Nula (okay - das ist nicht schwer :-)) und dva (zwei). Den Freund hat mein Weltenbummler - ebenfalls auf Wanderschaft - bei
einer Reise durch seine bulgarische Heimat kennengelernt. Wobei es diese Heimat, die er mir als entrücktes Naturparadies schildert, so nicht mehr zu geben scheint. Hinter den munteren Worten
schimmert eine Entwurzelung durch, ausgelöst von politischen und persönlichen Verwerfungen.
Schließlich gesellt sich noch ein Grüppchen Spaziergänger zu uns, drei Erwachsene und zwei Mädchen. Sie haben Punsch dabei und Josef, der Bulgare auf Wanderschaft, teilt Schokolade aus. Als ich
zu Hause ankomme, ist es schon fast dunkel, und ich bin froh, dass ich nicht in einem Zelt oben auf den Höhen übernachten muss. Josef will es so. Und er weiß das Alleinsein auf Reisen zu
gestalten.
Von den Winzerer Höhen her kommend, spaziere ich über den Fußgängersteg bei Pfaffenstein. Just in diesem Moment schiebt ein Frachtschiff seinen Bug unter der Brücke hindurch, Trapezbleche gleiten
einladend nah vorbei. Wie leicht es wäre, jetzt zu springen! Ob sie mich wohl mitfahren ließen?
"If you were James Bond...", sagt plötzlich eine Stimme neben mir.
"... I would have jumped!", vollende ich den Satz vergnügt. "I just thought about it!"
Ich drehe mich nach links und erblicke den Mann, der meine Gedanken erraten hat: Er ist nicht sehr groß und trägt einen stattlichen Rucksack. Aus seinem nicht mehr ganz jungen, dreitagebärtigen Gesicht blicken dunkle Augen, in denen sich die ganze Welt zu spiegeln scheint. Und richtig: Wien, Regensburg, die Bahamas, New York, Chicago und Marbella sind nur einige der Stationen, an denen sich der Sportarzt jeweils für einige Zeit niedergelassen hatte. Das erzählt er mir jetzt in gutem Deutsch mit osteuropäischem Akzent. Wir gehen ein Stück zusammen. Meine eigenen Reiseerfahrungen nehmen sich eher bescheiden aus: Urlaube in Europa, ein Auslandssemester in Dänemark, Sprachferien in Spanien und freundschaftliche Verbindungen nach Österreich und in die Schweiz. Umso lieber mag ich die Reisegeschichten anderer - und den ungewöhnlichen Blick auf uns, die Deutschen. Kaum ein anderes Volk, das so viel wandert, sagt mein Weltenbummler. Das ist doch was! Auch ich bin eine Wandererin. Mit den Füßen und im Herzen. Als Jugendliche wollte ich einmal Binnenschifferin werden, und noch heute packt mich beim Anblick der Containerschiffe manchmal das Fernweh - nach nördlichen Häfen und den Orten, zu denen man von dort aus aufbrechen kann. Inzwischen sind wir auf der Südseite des Wehres angekommen.
"Das nächste Mal springen Sie!", sagt mein Bekannter und zwinkert mir zu. Dann wendet er sich in Richtung Westbad, und ich gehe in der entgegengesetzten Richtung davon.
Es ist die Abwesenheit
Von Schmerz und Fragen
Es ist die Abwesenheit
Von Antwort und Leid
Es ist die Abwesenheit
Von Schwere und Illusionen
Es ist die Abwesenheit
Von Geduld und Hoffnung
Es ist die Abwesenheit
Aller Wünsche und Pflichten
Es ist die Abwesenheit
Von Zittern und Not
Es ist nicht
Was es war
Doch es ist gut
Genau vier Jahre ist es her, dass ich für gut einen Monat nach Winterthur reiste, um dort ein Leben als Schriftstellerin auszuprobieren - als Untermieterin in der damaligen WG meiner Freundin und Schreibkollegin Edith Truninger. Es war eine Zeit nur für mich und mein Schreiben - wie ein Künstlerstipendium, das ich mir selbst gewährte. Die kleine Stadt zwischen den sieben Hügeln war mir sofort sympathisch mit ihrer lebhaften bunten Innenstadt und dem verträumten Ortsteil Veltheim, einem ehemals selbständigen Winzerdorf. Mehr als einmal wanderte ich durch die Weinberge und manchmal sah ich in der Ferne auch "echte" Schweizer Berge. Unvergessen das Frühstück mit Edith, bei dem wir unser erstes Schreibseminar entwickelten und ich ein Appenzeller Weizen genoss, was Edith sofort als bayerisches Element an mir identifizierte. Und das Schweizerische? Da war vor allem diese Sprache, die sich mir - selten verständlich - ins Ohr schmiegte, sich meist aber lustig entzog; außerdem meine Spaziergänge, die Einkäufe in der Migros und eine Tee-Verkostung (nachzulesen hier auf meinem alten Blog). Und natürlich das Schreiben: An Ediths Esstisch vollendete ich meinen Roman. Zurück blieben ein ungemein befriedigendes Gefühl und das bis heute unvermarktete Manuskript. Doch ich erinnere mich noch genau daran, wie gut es mir gelang, meinen Tag zu strukturieren: Mehrere Stunden schreiben, rausgehen und Kopf, Herz und Notizbuch mit neuen Eindrücken füllen, Texte überarbeiten und mit meiner Schriftstellerkollegin neue Projekte entwickeln - aus all dem ließ sich ein abwechslungsreicher Arbeitsurlaub gestalten. Vollzeitschriftstellerin bin ich seither nicht geworden - doch ich weiß, dass ich es könnte.
Why do you eat or drink? To stay alive, would you probably reply. I also need to write in order to stay alive. More precisely, writing helps me to figure out what I am actually doing here on this planet.
Peter Elbow, US-amerikanischer Schreibpädagoge, auf die Frage, was das Schreiben für ihn persönlich bedeute.
Woraus sind eigentlich Engelsflügel gemacht? Aus Federn wie bei einem Vogel - oder aus einem durchscheinenden, körperlosen Stoff? Sind sie dick und filzig wie ein Lodenjanker, oder bestehen sie
eher aus leichtem Funktionsmaterial, aufgespannt auf einem raffinierten Faltmechanismus aus Fiberglasstäben? Und brauchen Engel ihre Flügel, um sich in Arbeitspausen hoch oben in der Stratosphäre
zu erwärmen? Doch Engel frieren nicht, denkt Raffael. Wahrscheinlicher ist, dass die Flügel aus einem reißfesten Synthetikstoff gefertigt sind. Der hat bessere Flugeigenschaften und trocknet
schneller nach dem Flug durch die Wolken.
Doch wenn Raffael nachts nicht schlafen kann, spürt er den Engelsflügel schwer und tröstlich auf sich lasten. Wie ein altes Plumeau, dessen Federn schon ein bisschen klumpen, und dessen Kiele durch den Bezugsstoff pieksen. Dabei schmiegt es sich wärmend an seinen Körper. Wenn ihn morgens seine Gedanken wecken, wickelt sich dieses seltsame Etwas schützend um ihn wie die raue Zunge eines großen Hundes. Raffael weiß, dass ihm so nichts geschehen kann. Der Engel kommt und geht, genau wie seine Trauer.
du folgst dem fluss
auf nassen füßen
während das wasser
sich land holt
du suchst eine brücke
und findest
ein boot ohne ruder
legst dich hinein
und ziehst den himmel
über dich
das boot steigt bei regen
und fällt mit der dürre
zur mündung hin
so gleitest du
in die gezeiten
den wellen ausgeliefert
und nur dein boot weiß
wo du bist
bald lernst du
sturm und flaute auszuhalten
deine nächte
zählst du nicht
dann strandest du
auf einer insel
und merkst
dass du sie immer schon
bewohnst
... oder stehen auf dem Parkplatz. Gestern spricht mich vor dem Supermarkt eine Dame an, auf Englisch mit italienischem Akzent. Sie öffnet ihre große gelbe Plastiktüte, in der ich einige Gläser und Flaschen erspähe. Wo sie diese abgeben könne? Da fällt mir nur der Glascontainer in der Nähe meiner Wohnung ein, einen guten Kilometer entfernt von hier. Schon bittet mich die Frau, ihr Altglas zu übernehmen. Sie wirkt freundlich und ehrlich in Nöten: Heute ist ihr letzter Tag in Regensburg, und offensichtlich will sie ihre Ferienwohnung sauber hinterlassen. Das weckt irgendeinen verborgenen deutschen Gastgeberimpuls in mir - schon strecke ich die Hand nach der Tüte aus; sie müsse das Zeug auf keinen Fall mit nach Italien nehmen, versichere ich ihr. Sie verabschiedet sich erleichtert. Und ich lege die Tüte in den Kofferraum. Auf dem Heimweg frage ich mich: Was, wenn doch nicht nur Altglas drin ist? So genau habe ich schließlich nicht hingeschaut. Es könnten auch Drogen drin sein oder Waffen. Aber mein Instinkt sagt, dass alles in Ordnung ist. Außerdem bin ich neugierig, welche Geschichte der Inhalt der Tüte erzählt. Am Glascontainer hole ich eine Champagnerflasche und drei große Schraubgläser heraus, in denen sich laut Etiketten Sellerie bzw. saure Gurken befanden. Außerdem eine Flasche Wodka Imported from Russia, darunter kyrillische Schriftzeichen. Ich stelle mir ein italienisches Paar mittleren Alters vor, das für ein paar Tage Urlaub in der Domstadt macht. Was sind das für Leute, die in der kurzen Zeit eine ganze Flasche Wodka austrinken? Oder haben sie das Zeug von zu Hause mitgebracht? Und der viele Sellerie? Man sagt ihm ja potenzsteigernde Wirkung nach... Fragen über Fragen, die mich, wenn ich wollte, tief in eine Geschichte führen könnten. Wenn man nur ein bisschen die Augen offen hält und sich auf Begegnungen einlässt, bietet sich täglich jede Menge Stoff zum Schreiben.
Wanderungen, kleine Fluchten und große Fahrten - Aufzeichnungen von unterwegs.
Duden Verlag 2012
Vergangener Juli: Ich bin in Weimar, einer Stadt voller Musik und Poesie. Die Sonne scheint und das Caféhaus lockt; nebenan komponiert ein Mann mit langem schwarzem Haar, stumm und mit beiden Händen. Vor mir liegt eine Ansichtskarte. Sie zeigt das Sandmännchen neben einem Auto, das mutmaßlich einen Trabant darstellt. Daneben Schreiben auf Reisen, ein weiteres wunderbares Bändchen aus der Reihe "Kreatives Schreiben" des Duden Verlags. Genau wie Schreiben dicht am Leben gibt es viele praktische Tipps und kleine Schreibanregungen für unterwegs. Kapitel 10: Die Ansichtskarte: Erzählen Sie eine Geschichte, heißt es da. Nichts leichter als das! Das Sandmännchen, so sinniere ich, überlegt wohl, wie es mit seinem großen Kopf in das zu kleine Auto hinein passen soll - oder es fragt sich, ob es aus dieser von Baustellen umzingelten Stadt je wieder herausfindet. Hoffentlich geht es uns morgen besser, schreibe ich. Tage später bekomme ich eine besorgte SMS von der Empfängerin der Karte: "Geht's euch wieder gut? Was war denn los?"
Vielleicht habe ich doch übertrieben. Oder nicht deutlich genug herausgestellt, dass es die Geschichte des Sandmännchens ist und meine abschließende Bemerkung nur eine Parallele. Vielleicht hätte
ich sowieso besser über den Komponisten am Nachbartisch schreiben sollen. Oder den allgegenwärtigen Goethe. Jedenfalls beschließe ich, das Kapitel Schreiben für andere vorerst zurückzustellen -
zugunsten der Vorübungen oder von Schreiben für mich selbst, bevor ich mich womöglich größeren Textprojekten, Reiseromanen oder -tagebüchern gar, zuwende. Wenn ich nicht
zwischendurch wieder an einem der zahlreichen spannenden Buchtipps hängen bleibe und mich festlese wie in Tomas Espedals Gehen oder die Kunst, ein wildes und poetisches Leben zu führen.
Doch nicht zuletzt ist das Schreiben selbst ein Reiseverkehrsmittel, das immer funktioniert - sogar vom eigenen Arbeitszimmer aus. Von dort führte ich auch eine kleine Korrespondenz mit dem
Sandmännchen, das mir ein Bild von sich schickte - unter der Voraussetzung, dass ich auf seinen Shop hinweise. Mach ich doch gerne, liebes Sandmännchen. Und viel Spaß noch im Berliner Prater.
Man möchte meinen, dass ein Schlüssel leichter verschwindet als ein Haus oder ein Auto. Trotzdem ist es oft umgekehrt: In einer vergessenen Schublade findest du einen Schlüssel, zu dem es gar kein Schloss mehr gibt. Er macht dich ratlos oder weckt Erinnerungen: An dein erstes Auto, das längst verschrottet wurde, oder das kleine Schloss an dem Tagebuch, das du mit fünfzehn führtest. Du bist schon mehrfach umgezogen, und es gibt Türen, durch die du nie mehr gehen wirst. Womöglich findest du den Schlüssel zu dem Haus in Schlesien, das deine Mutter verlassen musste, als sie ein Kind war. Vielleicht könnte er sogar noch eine Tür aufschließen. Doch dein Onkel, dem du den Schlüssel zeigst, nimmt ihn mit auf eine Reise nach Polen, wo er ihn in die Oder wirft.
Suchen Schriftsteller die Einsamkeit? In Wahrheit ist es andersherum: Die Einsamkeit sucht dich, sie weckt den Schriftsteller in dir. Wenn du beizeiten auf dich selbst gestellt, der Welt ausgesetzt wirst, und niemand da ist, der dir die Welt erklärt, wenn du nur Wald und die verstreuten Häuser deines abgelegenen Dorfes um dich hast - dann bleibt dir nichts anders übrig, als zu schreiben. Nachts schaust du in den Himmel wie ein Romantiker, das pechschwarze Firmament ist deine Kinoleinwand, auf der sich dein eigener Film abspielt. Du lernst das Alleinsein auszuhalten, das dich dein Leben lang sowohl quälen als auch nähren wird. Die Sorte Schriftstellerei, die aus deiner frühen Einsamkeit erwächst, macht dich sehnsüchtig und ein bisschen sentimental. Aber auch zu einem guten Beobachter. Du lauschst hinaus in die Nacht und empfängst die Worte.
Die Besucherin parkt das Auto unter einem Baum im Schatten und nähert sich dem schlichten Museumsgebäude. Erste Eindrücke von der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora bei Nordhausen: Ein friedlicher Ort. Erst recht an einem heißen, himmelblauen Tag im Juli. Da streicht der Wind durch die Bäume, Blätter rascheln sanft. Stille Wege queren das Gelände, und der Kohnstein schmiegt sich als bewaldeter Hügel in die Landschaft des Südharzes.
Sein Geheimnis gibt er erst auf der begleiteten Gruppenführung preis: Da geht es hinein in das Stollensystem, in dem Zwangsarbeiter noch V2-Raketen produzieren mussten, als das Ende des Dritten Reiches schon abzusehen war. Hier unten, wo es still und kühl ist, sollen Zigtausende von Menschen nicht nur unter schweren und schwer vorstellbar schlechten Bedinungen gearbeitet, sondern anfangs auch gelebt, geschlafen haben, bevor draußen das Barackenlager entstand?
Wir erfahren Fakten, doch unser Begleiter - kenntnisreich, respektvoll, unpathetisch - mahnt: Man möge gar nicht erst versuchen sich vorzustellen, wie es war; man würde nur einem Trugschluss erliegen. Ein Hinweis, der zugleich schrecklich und entlastend ist - falls es emotionale Entlastung geben darf an so einem Schauplatz unermesslicher Grausamkeit. Wir besichtigen nur einen winzigen Teil der Anlage, die von den russischen Alliierten teilweise zerstört wurde. Die produzierten Raketen wurden auf Schienen aus zwei Fahrstollen herausgefahren. Von den Gleisen ist heute kaum noch etwas zu sehen, wohl aber vom Lagerbahnhof.
Ich habe Bahnhöfe bisher immer als Orte des Fernwehs und der Vorfreude empfunden. Diese gemauerten und betonierten Quader jedoch waren für so viele Menschen die Endstation ihres Lebens! Von den 60.000 Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen, die das Lager in seiner kurzen Geschichte sah, starben 20.000.
Ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung Deutschlands ist es möglich, sich noch einmal neu mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Neukonzeption der Gedenkstätte seit 2006 trägt dem Rechnung. Dabei beschränkt sich die Gestaltung der Außenanlagen auf das Notwendige, das Dokumentierte braucht keine Interpretation, um zu wirken. Das gesamte Gelände unterliegt dem Friedhofsrecht - dass es dabei wie eine weitläufige Parkanlage wirkt, ist kein Widerspruch. Schließlich ist es ein Ort des Todes und der Toten. Ein Ort der Trauer und des Nicht-Vergessens. Ein Ort, der zum Frieden mahnt.
Denn wir alle sind Schlafende, irgendwie - Menschen, in denen sowohl das Schöne als auch das Schauerliche schlummert, das uns je nach den Zeitumständen zu Täterinnen oder Opfern, Mitläufern oder Widerständigen formen kann. Die psychische Ausstattung der Menschen ist die gleiche wie vor 70 Jahren. Nur das Bewusstsein kann sich ändern.
Ein unglaublich schöner, einfühlsamer Film ist dem Franzosen Martin Provost gelungen. In Violette porträtiert er (wie schon zuvor in der Filmbiografie Séraphine) eine außergewöhnliche Frau, die den Verhältnissen ihrer Zeit und ihrer Herkunft trotzt: Violette Leduc (1907 - 1972).
Unehelich geboren im Jahr 1907 als Tochter eines Dienstmädchens, schleppt sich Violette Leduc mit diversen Makeln durch das Leben wie ein krumm gewachsenes Bäumchen. Sie wächst in Armut auf, sie schreibt, sie betreibt Schwarzhandel während des Weltkrieges. Und sie leidet. An sich, an der Gesellschaft, an ihrer vermeintlichen Hässlichkeit, an unerfüllten Sehnsüchten. Ihr bleibe gar nichts anderes übrig, als zu schreiben, sagt ihr ein früher Weggefährte. Und Violette schreibt. Immer schöpft sie dabei aus dem Biografischen. Aus dem Gefühl, ein ungewolltes Kind zu sein, aus den ersten Erfahrungen lesbischer Liebe im Internat, aus der Zeit ihrer kurzen Ehe und einer Abtreibung. Dabei spiegelt ihre ganz persönliche Situation die gesellschaftliche Rolle der Frauen, die erst Jahre später einen neuen Auf- und Ausbruch aus den unterdrückenden Verhältnissen wagen sollten.
Wenn Violette liebt, geht es oft daneben; ihr bisheriges Leben scheint ihr schon ein zu großes Defizit an Liebe mitgegeben zu haben. Begehrt sie ausnahmsweise einen Mann, dann liebt auch dieser Männer - und zwar ausschließlich. Ihre größte unerfüllte Liebe aber schenkt sie Simone de Beauvoir, die ihre Unterstützerin und Fördererin wird - und zugleich ihre Rivalin, als Violettes erste Bücher nicht erfolgreich sind.
"Jammern Sie nicht, das kann ich nicht leiden", sagt die Beauvoir in einer unvergesslichen Szene zu ihr. Ein Satz, den sich alle erfolglos Schreibenden immer wieder vorsagen sollten. Und: "Schreiben Sie!", ist Beauvoirs Antwort auf so ziemlich alle Fragen, Missstände und Leiden Violettes. Und Violette schreibt, immer wieder. Bis sie am Ende doch erfolgreich ist - eine Mitstreiterin und Wegbereiterin des Neuen Feminismus.
Am Ende erfährt Violette endlich die Anerkennung, die sie so lang ersehnt hat. Sie stirbt, wenn vielleicht auch nicht versöhnt mit sich, immerhin als bekannte Persönlichkeit.
Für mich ist dieser Film vor allem ein bedingungsloses Plädoyer für das Schreiben - ein Schreiben, das nicht Heilung, aber Rettung ist. Es bewahrt Violettes Lebensfaden vor dem Zerreißen, wo er schon manches Mal gefährlich dünn ist.
Ein Film, der zudem wunderbare Bilder und ungewöhnliche Perspektiven hat: Mehr als einmal bekommt der Betrachter die Tür vor der Nase zugeschlagen. Auch wenn die nächste Einstellung dann bereits wieder das Geschehen hinter der Tür zeigt, erzwingt dieser Kunstgriff eine kleine Nachdenkpause. Andere Szenen wirken, als sei man mit im Zimmer, ein lautloser, unentdeckter Eindringling in die Intimsphäre der Figuren. Mit alldem verschmilzt harmonisch die Filmmusik von Arvo Pärt.
Eine Zugstunde von Regensburg entfernt - dort, wo einst die westliche Welt zuende war - beginnt das fernste aller Ausländer, Tschechien. Bisher. Ich bin mit einer diffusen Angst vor "dem Ostblock" sozialisiert, und die Sprache war ein zusätzliches Hindernis. Doch plötzlich treten aus dem undurchdringlichen Buchstabensalat vereinzelt Wörter hervor, die einen Sinn ergeben. Wörter wie zmrzlina - Speiseis, čtvrtek - Donnerstag oder špatný - schlecht. Der Klang gefällt mir, und zu meiner Überraschung meistere ich so manch kühne Konsonantenanhäufung. Pilsen, wo ich vergangenes Wochenende einen Crashkurs Tschechisch absolvierte, gefällt mir ausnehmend gut. Es ist Regensburg ähnlich genug, um mich nicht ganz verloren zu fühlen, und ausreichend anders, um mir das Gefühl von Abenteuer und Freiheit zu geben - die breiten Straßen, die Jugendstilhäuser, die alten und neuen Straßenbahnen. Der Besuch der Synagoge ist für mich ein besonderes Erlebnis - nicht nur, weil sie die zweitgrößte in Europa ist, sondern wegen der Normalität. Es erschreckt mich immer wieder, dass gerade in Deutschland jüdische Einrichtungen noch immer polizeilich geschützt werden müssen. Vielleicht ist auch in Tschechien die Lage nicht völlig entspannt, denn Rechtsextremismus gibt es - leider - überall in Europa. Doch die Synagoge in Pilsen fühlte sich an wie ein ganz normales Gotteshaus - und ein Kulturort, in dem Fotoausstellungen und Konzerte stattfinden.
Notieren und Skizzieren.
Duden Verlag 2012
Das handliche Buch aus der schön gestalteten Reihe "Kreatives Schreiben" des Duden Verlags ist eine Einladung zum zwanglosen Beobachten und Notieren. Hanns-Josef Ortheil zeigt uns am Beispiel bekannter Autoren und Autorinnen, welche Wirkung auch knappe Notate und Beobachtungen haben können, und wie man selbst solche Aufzeichnungen vornimmt: Notieren als Fotografieren, Porträtieren, Genaues Zeichnen, Präsentieren; Notieren von Emotionen und Passionen. Am Ende jedes Kapitels stehen kleine Schreibaufgaben, die leicht in die Praxis umzusetzen sind. Bereits in dem Buch "Wie Romane entstehen" durften wir ja dem Autor über die Schulter schauen und lernten Ortheils Arbeitsweise als fortwährendes Beobachten und Notieren kennen, das schon die Keimzelle einer Geschichte in sich trägt. "Schreiben dicht am Leben" ist dazu eine gute Ergänzung und darf wohl als systematische Wahrnehmungsschulung verstanden und umgesetzt werden.
So habe auch ich mich gleich von einer einfachen Beobachtung inspirieren lassen:
Ein haariger gebräunter Arm auf einer Plastiksessellehne. Der kurze Ärmel eines T-Shirts. Finger, die eine Zigarette halten, und ein breiter Silberring. Lederstiefel. Unter dem Stuhl eine Flasche Rotwein, ungeöffnet. Die Armeejacke auf dem Schoß. Ein Lachen tief aus der Kehle. Rauch.
Was ist das? Nun, es handelt sich um ein Zwischenergebnis meiner Arbeit in der Gruppe Collagen - Tod des Autors zum Thema schreiben21 - Was ist zeitgemäß?. Dies war das Motto der Jahrestagung des Segeberger Kreises, die diesmal in der Evangelischen Akademie in Meißen stattfand. Ein wunderbarer Ort zum Tagen, nebenbei bemerkt - sowohl das Tagungshaus als auch die Stadt. Hier trafen sich, wie jedes Jahr, zwischen 50 und 60 Schreiblehrerinnen und Schreiblehrer, AutorInnen und andere Schreibende. Sinn und Zweck ist der Austausch und die literarische Geselligkeit.
Das Besondere: Am Donnerstag Abend finden sich die Gruppen, die das gemeinsame Jahresthema von jeweils einer anderen Warte aus beleuchten. Zwei Tage lang wird dann intensiv und selbstorganisiert geschrieben, experimentiert, diskutiert. Bis zum großen Finale am Sonntagvormittag, in der die Gruppen ihre Ergebnisse präsentieren. Die Gruppe Bestseller beispielsweise nahm mit einem fiktiven, reißerischen Werk, dazugehörigem Autor, Rezensionen, Klappentexten und Interview den Literaturbetrieb aufs Korn; dazu gab es Feldversuche, neue Weltschmerzlyrik oder eben Collagen. Dabei wurde munter geschnitten und geklebt, zerstört und neu zusammengefügt, bis das eigene Material in den Textprodukten anderer aufging - und umgekehrt.
Beim Spiel mit der Sprache und literarischen Selbstversuchen entsteht immer Neues, entwickeln sich Einsichten, Erkenntnisse und - ganz praktisch - neue Schreibanregungen. Ein Tagungsband dokumentiert die Gruppenergebnisse und ihre Anwendbarkeiten. Ein reichhaltiger Fundus für meine künftige schreibpädagogische Arbeit. Und ein großer Spaß dazu.
Die deutsche Gegenwartsliteratur ist langweilig.
Die deutsche Gegenwartsliteratur ist brav.
Die deutsche Gegenwartsliteratur ist konformistisch.
Die deutsche Gegenwartsliteratur ist...
Wirklich?
Aus irgendwelchen Gründen ist es gerade "in", sich über die angebliche Blutleere und Stromlinienförmigkeit der deutschen Gegenwartsliteratur zu beklagen. Wie zum Beispiel Florian Kessler in seinem Artikel Lassen Sie mich durch, ich bin Arztsohn! Als Grund für Bravheit und Konformismus scheint er herausgefunden zu haben, dass die Absolventen und Absolventinnen der renommierten Schreibschulen in Hildesheim und Leipzig alle aus dem "gleichen, saturierten Millieu" stammen und unter Ihresgleichen studieren, von Ihresgleichen unterrichtet werden. Als Arbeiterkind bin ich gefährdet, zuzustimmen. Möglicherweise wurde ich von ganz anderen Lesegewohnheiten geprägt als die Hildesheimer Akademikerkinder. Aber auch ich lese deutsche Gegenwartsliteratur - die oft genug gar keine deutsche, sondern deutschsprachige ist: Eva Menasse zum Beispiel oder Arno Geiger, die eine aus Wien, der andere aus Bregenz...
Und dann ist da noch die eigentlich nur beleidigend zu nennende und grobmotorisch verfasste Wortmeldung Maxim Billers, Letzte Ausfahrt Uckermark: Die Enkel der Nazigeneration bestimmten hierzulande, was gelesen wird, und es fehlten lebendige literarische Stimmen von Migranten. Rein physikalisch bedingt (zeitliche Komponente) bin auch ich eine Enkelin der Generation, die von 1933 - 1945 erwachsen wurde oder war. Was Herr Biller darüberhinaus über die Geisteshaltung der nachfolgenden Generationen abzuleiten meint, will ich eigentlich gar nicht nachvollziehen.
Gleichzeitig bezeichnet Biller Autorinnen "mit Migrationshintergrund", wie die geniale Marjana Gaponenko oder Zsuzsa Bánk, als folkloristisch. Die "richtige" Migrantenliteratur stammt offenbar nur von Männern, wie Saša Stanišić oder Abbas Khider (unbedingt lesen: Die Orangen des Präsidenten). Die eigene Biografie kann mehr oder weniger deutlich Gegenstand von Romanen sein, sie muss es aber nicht - das hieße ja, dass Autoren und Autorinnen, deren Wurzeln außerhalb Deutschlands liegen, ihr Themenspektrum zwangsläufig einengen müssen, um ernst genommen zu werden. Ist diese Reduzierung das, was Biller sich wünscht?
Oder spricht hier nur ein selbst zu kurz gekommener, wie es auch Harald Martenstein in seiner Reaktion auf den Artikel mutmaßt?
Nein, ich kann nicht einstimmen in das allgemeine Bashing deutsch(sprachig)er Literatur. Allerdings scheint eine gewisse geistige Schwere und Düsterheit vonnöten zu sein, um hierzulande in der Literatur ernst genommen zu werden. Im Gegensatz dazu zählen in den USA oder auch Großbritannien Autoren zur Weltliteratur, die zum Teil urkomisch von den tragischsten Begebenheiten zu erzählen wissen, und das immer mit einer großen Liebe zu den Figuren - wie zum Beispiel der lange Jahre verfolgte Salman Rushdie. Ist er, der mit 14 Jahren von Indien nach Großbritannien zog, um dort zur Schule zu gehen, auch als Migrant zu sehen? Zumindest war er lange Jahre auf der Flucht - gerade wegen seines Schreibens. Aber das ist eine andere Geschichte.
Gestern im Literaturbrettl in Regensburg: Ein Abend mit Gangaamaa Purevdorj. Klug und warmherzig erzählt die Kulturwissenschaftlerin von ihrer Heimat am Berg Saikhan. Von Jurten und Pferden, von tapferen Reitern und den Müttern, die als morgens als erstes den Ofen in der Jurte erwecken. Gangaamaa ist eine wunderbare Botschafterin ihrer Heimat. Nicht nur hat sie einen Dokumentarfilm aus der Mongolei mitgebracht: Wo ich geboren bin - Einzig allein die Heimat der wiehernden Pferde. Sie schreibt auch in deutscher (!) Sprache über die Mongolei - und sie singt Volklieder aus ihrer Heimat. Ihre Stimme findet den Weg mitten ins Herz, erzeugt Fernweh und, wie meine Begleiterin sagt, die Sehnsucht nach dem einfachen Leben, die in uns allen schlummert.
Doch "einfach" ist es sicher nicht, dieses Leben der Nomaden - jedenfalls nicht in dem Sinne, dass es nicht anstrengend wäre: Pferde wollen zugeritten, Ziegen und Schafe gemolken und versorgt, die Milch verarbeitet und das Feuer in der Jurte am Brennen gehalten werden. Die Jurte, ein weißes geschnürtes All. Geborgene Behausung der ganzen Familie, Schutz vor strengen Wintern, Stürmen und sengender Sonne.
Einfachheit, das heißt: Tun, was zu tun ist, in gleichmäßigem Rhythmus. Tiere zähmen und respektieren. In Gemeinschaft leben und arbeiten, ein jeder an seinem Platz.
Unter dem weiten Himmel geborgen sein. Lieder mit dreiunddreißig Strophen singen. Sich an vergorener Milch berauschen. Aufeinander angewiesen sein.
Doch da ist auch der Wunsch nach (Aus)bildung für die Kinder, teuer und schwer zu erreichen. Manche gehen tatsächlich weg und studieren. Ziehen weiter. Kehren heim? Ab Juni jedenfalls lädt Gangaamaa zu Kulturreisen in ihre Heimat ein, zu erloschenen Vulkanen, alten Städten, Flüssen und Klöstern. Und vielleicht auch zum Dungsammeln, Melken, Malen und Erzählen.
Geballter Literaturbetrieb, Schau- und Leselust, Verkaufsgespräche. Und für das Publikum: Lesungen, Buchvorstellungen, Interviews. Sehen und Gesehenwerden. Gleich zu Anfang stolpere ich über eine
Autorin, die ein esoterisches Buch über Sex geschrieben hat. Aus dem Publikum die von Schreibenden wahrscheinlich meistgefürchtete Frage: "Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dieses Buch zu
schreiben?"
Ebenso originell der Roman, aus dem eine sehr sympathische, hübsche Mittdreißigerin vorliest: Über Mittvierziger in der Krise, die offenbar nur durch drogengestützte Orgasmen zu überwinden ist.
Die monotone, ausdruckslose Stimme der Autorin, laut Ankündigung auch Schauspielerin (!), vermag nicht an den Text zu fesseln. Der gelangweilt dreinblickende Moderator - oder ist es ihr Lektor? -
macht es nicht spannender.
Es ist aber auch ein hartes Brot, auf der Buchmesse zu lesen: Das Getümmel des Messebetriebs, die schier unglaubliche Konkurrenz der anderen und das ständige Kommen und Gehen der Menschen, die
mitunter nur dort sitzen, weil gerade ein Platz zum Ausruhen frei war.
Ich lasse mich treiben, plaudere ein wenig am Stand der IG Autoren, wo sämtliche Editionen Österreichs sich auf kleinster Fläche präsentieren, trudle weiter zum Schweizer Auftritt, lasse mir im
Österreichischen Kaffehaus ein Häferl Kaffee servieren.
Dann komme ich gerade rechtzeitig ins "Café Europa", wo Tim Parks sein neues Buch vorstellt. Ich liebe sein britisches Englisch, das ich gut verstehe, und auch den Dolmetscher und die herzlich
zugewandte Interviewerin. Entweder sind alle drei maximal kompetente Showprofis, oder sie mögen sich wirklich - jedenfalls wirken sie so unglaublich sympathisch, so authentisch und dabei noch
humorvoll, dass ich die Veranstaltung in vollen Zügen genieße. Nicht mal so sehr wegen des Buches, das ich nachher kaufe und signieren lasse. Vielmehr fasziniert mich, wie Tim Parks über sich
erzählt, über sein Schreiben, seine Meditationserfahrungen. Und was geschieht, wenn ein Autor versucht, ohne Worte auszukommen - und zwar nicht nur ohne geschriebenes, sondern auch gedachtes
Wort. Eine schwere Übung, die alles in Frage stellt bis hin zur eigenen Identität, die ja, zumal bei einem Autor, immer auch eine Erzählung ist, eine Konstruktion aus Worten.
Am Ende bin ich doch ein wenig erschöpft und nehme im Messestudio von 3Sat Platz, wo ich Peter Stamm, Ursula von Arx und Adolf Muschg im Interview erlebe. Ich lerne ein bisschen über die Schweiz,
ihr sprachliches Selbstverständnis und den Schmerz, den der jüngste Volksentscheid über die Zuzugsbegrenzung bei vielen ausgelöst hat. Doch wer solche Autoren und Denker(innen) hat, wird auch mit
diesen Realitäten umzugehen wissen - vielleicht ist es ein Weckruf, der uns Rest-Europäern und Europäerinnen noch bevorsteht.
Falkenstein, 1. März 2014
Fünfzehn Jahre
Brauchte er
Um zu erkennen
Dass das Geräusch
Im Flur
Keine sich öffnende Tür
Sondern ein vorwärts springender
Zeiger ist
Deine Augen spiegeln
Das Vorüberziehen der Äste
Auf dem Wasser
Nebel hüllt dich ein
Langsam.
Schritt vor Schritt setzt du
Auf den sich wandelnden Weg
Nur deine Füße
Sind immer dieselben.
Dein gleichmäßiger Atem
Füllt
und leert
Die Lungen
In deinen Ohren
Nur dieses eine Geräusch.
Einatmen - ausatmen.
Ein Stolperstein:
Geschickt
Steigst du darüber hinweg
Nur du entscheidest
Ob es Hindernisse sind
Oder Wegweiser
Die deinen Pfad begleiten.
Bewegung ist überall
Gleich ob du gehst
Oder stehst
Vom Feldrand aus
Siehst du die Vögel aufsteigen
Und Grashalme zittern
Unter einem unsichtbaren Atem.
Das Flügelschlagen eines Schmetterlings
Und die Erdkrümel
Die vom frischen Maulwurfshügel kullern:
Alles was ist
Ist in Bewegung.
Edward Snowden auf der Flucht vor der NSA. Datenklau durch Google, Amazon und Co. Sechzehn Millionen ergaunerte Zugangsdatenkombinationen. Dicke Luft wegen des ausgespähten Kanzlerinnenhandys. Was ist geworden aus dem Versprechen unbegrenzter (Informations-)Freiheit und digitaler Mobilität?
Technik, Politik und der "größte Bluff der Weltgeschichte" ist der Titel der heutigen Ausgabe von Lesart, einer Sendung auf Deutschland Radio Kultur. Es ging um das Sammeln und Auswerten enormer Datenmengen - ausgehend von der Tatsache, dass die weltweite Verfügbarkeit von Daten und die Vernetzung von Millionen Menschen einst ein Menschheitstraum war, der durch das Internet wahr zu werden schien.
Doch es ist ein schmaler Grat zwischen Transparenz und Überwachung. Leider leben wir nicht in einer Welt, in der wir einander vorbehaltlos vertrauen dürfen; die Preisgabe von Daten im Internet ist immer ein Risiko. Auch wenn viele Menschen das nicht weiter zu beunruhigen scheint: Heute hörte ich im Radio, dass ungefähr 1,6 Millionen Betroffene durch den BSI-Sicherheitstest erfuhren, dass ihre Mailadresse und Zugangsdaten zu den "gekaperten" gehören. Die anderen 90 % wissen noch nichts davon. Vielleicht ist es ihnen egal. Oder ihre Rechner sind längst lahmgelegt...
Vermutlich ist das wirtschaftsstarke Deutschland ein besonders guter Markt für geklaute Zugangsdaten - allein schon zahlenmäßig. Denn während Europa zu den bestvernetzten Regionen gehört, hat mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung noch gar keinen Zugang zum Internet.
Unser Wohlstand macht uns anfällig. Nicht für Hunger, Durst oder extreme Umweltbedingungen. Aber für den Verlust unserer Privatsphäre und den Missbrauch unserer Daten. Auch der kann im Zweifel existenzbedrohend sein und die Teilhabe am (Wirtschafts-)Leben verhindern - etwa, wenn ein Jobbewerber durch ungünstige Aktivitäten in Sozialen Netzwerken auffällt oder plötzlich kein Konto zu bekommen ist, weil die Auswertung irgendeiner intransparenten Datenbank eine schlechte Zahlungsmoral erwarten lässt.
Noch nie war es so einfach, persönliche Meinungen, Fotos oder biografische Daten auszutauschen - und noch nie hatte der oder die einzelne so wenig Kontrolle darüber, was damit geschieht.
Manchmal bekommt man Gutscheine aus Verlegenheit geschenkt und muss dann Orte aufsuchen, an die man sonst nie kommt: Ein Hot-Stone-Massagestudio, ein Floating-Center oder gar das Donaueinkaufszentrum. Das kann zu neuen Erfahrungen führen oder aber dazu, dass das Geschenk nie eingelöst wird. Ein Volltreffer hingegen ist es, wenn mir eine liebe Freundin 10 Euro Guthaben beim Café Anna schenkt. Dann kann ich an so einem wunderbaren hellen Wintertag, wie er in Regensburg selten ist, mit ungefähr hundert anderen zur Theke drängen und mir einen großen Café au lait bestellen. Anstatt den Geldbeutel zu zücken, reiche ich dem Kellner meinen Gutschein - und erfahre: Den Rest müsse er mir in bar auszahlen, da der Gutschein aus einer anderen Filiale stamme. Was mir nicht wirklich einleuchtet, doch immerhin ist Bargeld eine sichere Sache, noch sicherer als ein Stück Papier, auf dem der Restbetrag geschrieben steht. Oder? Trotzdem bin ich irgendwie enttäuscht. Der Gutschein sagte: Schau her, ich hab an dich gedacht, und ich weiß, was dir gefällt. Harte Währung dagegen verschwindet im Geldbeutel, und es ist fraglich, ob ich beim nächsten Kaffee noch dran denke, dass ich eingeladen worden bin. Kurzerhand stecke ich anstelle des Gutscheins das Restgeld in den Umschlag und schreibe drauf: Für Café Anna, von K.
Heute Morgen habe ich das alte Jahr und mein Atelier herausgefegt, meine einzige Topfpflanze gegossen (warum nur scheinen Pflanzen umso besser zu gedeihen, je länger man sie in Ruhe lässt?) und den Schreibbetrieb wieder aufgenommen. Und schon scheint die Sonne! Und so kann ich euch auch einen der Gründe zeigen, warum ich dieses Atelier angemietet habe: Es ist der Domblick - zart ragen die Türmchen in den blauen Himmel, zwischen winterkahlen Bäumen und glänzenden Edelstahlkaminen...
Ein fröhliches Jahr euch allen!