Woraus sind eigentlich Engelsflügel gemacht? Aus Federn wie bei einem Vogel - oder aus einem durchscheinenden, körperlosen Stoff? Sind sie dick und filzig wie ein Lodenjanker, oder bestehen sie
eher aus leichtem Funktionsmaterial, aufgespannt auf einem raffinierten Faltmechanismus aus Fiberglasstäben? Und brauchen Engel ihre Flügel, um sich in Arbeitspausen hoch oben in der Stratosphäre
zu erwärmen? Doch Engel frieren nicht, denkt Raffael. Wahrscheinlicher ist, dass die Flügel aus einem reißfesten Synthetikstoff gefertigt sind. Der hat bessere Flugeigenschaften und trocknet
schneller nach dem Flug durch die Wolken.
Doch wenn Raffael nachts nicht schlafen kann, spürt er den Engelsflügel schwer und tröstlich auf sich lasten. Wie ein altes Plumeau, dessen Federn schon ein bisschen klumpen, und dessen Kiele durch den Bezugsstoff pieksen. Dabei schmiegt es sich wärmend an seinen Körper. Wenn ihn morgens seine Gedanken wecken, wickelt sich dieses seltsame Etwas schützend um ihn wie die raue Zunge eines großen Hundes. Raffael weiß, dass ihm so nichts geschehen kann. Der Engel kommt und geht, genau wie seine Trauer.