Ferne Häfen

Von den Winzerer Höhen her kommend, spaziere ich über den Fußgängersteg bei Pfaffenstein. Just in diesem Moment schiebt ein Frachtschiff seinen Bug unter der Brücke hindurch, Trapezbleche gleiten einladend nah vorbei. Wie leicht es wäre, jetzt zu springen! Ob sie mich wohl mitfahren ließen?

"If you were James Bond...", sagt plötzlich eine Stimme neben mir.

"... I would have jumped!", vollende ich den Satz vergnügt. "I just thought about it!"

Ich drehe mich nach links und erblicke den Mann, der meine Gedanken erraten hat: Er ist nicht sehr groß und trägt einen stattlichen Rucksack. Aus seinem nicht mehr ganz jungen, dreitagebärtigen Gesicht blicken dunkle Augen, in denen sich die ganze Welt zu spiegeln scheint. Und richtig: Wien, Regensburg, die Bahamas, New York, Chicago und Marbella sind nur einige der Stationen, an denen sich der Sportarzt jeweils für einige Zeit niedergelassen hatte. Das erzählt er mir jetzt in gutem Deutsch mit osteuropäischem Akzent. Wir gehen ein Stück zusammen. Meine eigenen Reiseerfahrungen nehmen sich eher bescheiden aus: Urlaube in Europa, ein Auslandssemester in Dänemark, Sprachferien in Spanien und freundschaftliche Verbindungen nach Österreich und in die Schweiz. Umso lieber mag ich die Reisegeschichten anderer - und den ungewöhnlichen Blick auf uns, die Deutschen. Kaum ein anderes Volk, das so viel wandert, sagt mein Weltenbummler. Das ist doch was! Auch ich bin eine Wandererin. Mit den Füßen und im Herzen. Als Jugendliche wollte ich einmal Binnenschifferin werden, und noch heute packt mich beim Anblick der Containerschiffe manchmal das Fernweh - nach nördlichen Häfen und den Orten, zu denen man von dort aus aufbrechen kann. Inzwischen sind wir auf der Südseite des Wehres angekommen.

"Das nächste Mal springen Sie!", sagt mein Bekannter und zwinkert mir zu. Dann wendet er sich in Richtung Westbad, und ich gehe in der entgegengesetzten Richtung davon.