2018

Alltagshindernisse

das schaben der hockerbeine
auf den fliesen
staubflusen an teppichrändern
wenn das telefon klingelt
und meine gedanken zerreißt
zeitdiebe in treppenhäusern
gute ratschläge
und meine reflexe darauf
energisches klopfen
bevor die tür aufplatzt
und jemand stör ich? fragt
ihr laut und mein leise
und mein ewiges suchen nach stille

Siebenmal mehr (2)

Mehr Fragen als Antworten.
Mehr zuhören als reden.
Mehr Zimt als Zigaretten.
Weniger getrennt als verbunden.
Mehr Zeilen als Zäune.
Mehr Bäume als Polizisten.
Mehr Sommer am Meer.

Romane "richtig" schreiben - ein Selbstversuch

The making of ...

Man möchte meinen, nach zwei veröffentlichten Romanen wüsste ich, wie es geht. Würde souverän planen und das Ding dann zielgerichtet runterschreiben ... ganze Stapel zumeist us-amerikanischer Schreibhandwerksbücher jedenfalls suggerieren, dass das die beste Methode ist. Entsprechend viel ist über den Aufbau, Figurenentwicklung und das Plotten von Romanen schon geschrieben und gesagt worden. Doch da ist auch noch die Theorie der Schreibberatung und die Praxis der Erfahrung: So ganz geradlinig geht es beim Schreiben selten zu. Es ist ein Annäherungsprozess, der irgendwie geleistet werden muss - vor, während und/oder nach dem Schreiben einer Rohfassung. Und auch die Schreibforschung spricht von verschiedenen Schreibertypen. An einem Ende stehen die Strukturfolger: Sie entwerfen zuerst eine Struktur, planen also ihren Text voraus, und folgen beim Schreiben der vorausgeplanten Struktur. Für den Roman heißt das, sich einen Plan von der Handlung zu machen mit Anfang, Mittelteil, Schluss; dazwischen Wendepunkte, Vorausdeutungen, Verwicklungen. Manche Autorinnen fahren gut mit einem Plot-Plan, bei dem nicht nur der grobe Handlungsverlauf festgelegt ist, sondern auch die einzelnen Szenen - ihre Abfolge, der jeweilige Inhalt, Perspektive, Stimmung und Funktion innerhalb des großen Ganzen.

Am anderen Ende der Skala stehen die Strukturschaffer: Diejenigen, bei denen der Weg durch den Text beim Gehen (=Schreiben) entsteht. Da ist viel Versuch und Irrtum, können ganze Textpassagen verworfen, verschoben, grundlegend überarbeitet werden.

Die meisten SchreiberInnen bewegen sich irgendwo dazwischen, die Ideallinie gibt es nicht bzw. ist sie für jedeN individuell. Abhängig nicht nur vom Schreibertyp, sondern auch vom Genre und vom Schreibprojekt. Eine Fantasy-Geschichte mit mehreren, hunderte von Seiten dicken Bänden erfordert einfach mehr Planung als ein 240seitiger Liebesroman. Vielleicht gibt es Genies, die das alles im Kopf zusammenbacken können. Aber die meisten von uns brauchen Planungs- und Gedächtnisstützen dafür - nicht zuletzt, weil das Produzieren von Text auch die Gedanken zum Text formt und umgekehrt. Schreiben ist Entwicklungs-, Lern- und Produktionsprozess zugleich.

Bei meinen beiden ersten Büchern galt es nicht nur jeweils einen Roman zu entwickeln - das Schreiben zog sich über viele Jahre hin und diente auch meiner Schreibentwicklung allgemein. Diese ist sicher nie ganz abgeschlossen, aber ich spüre, dass ich mehr und mehr zu meiner Form finde und damit auch nicht mehr ganz so viel Text verwerfen muss wie am Anfang. Den Erstling "Brot und Bitterschokolade" beispielsweise warf ich - nach dem fundierten, aber auch irgendwie frustrierenden Feedback einer geschätzten Schreibpartnerin - komplett weg und erzählte die Geschichte neu. Zwar gibt es auch den Typus des Versionenschreibers, der den Text bewusst mehrmals neu schreibt und sich so an die perfekte Endfassung annähert. Aber zu diesem Typus gehöre ich nicht.

Beim Zweitling ergaben sich viele Überarbeitungsgänge schlicht aus dem Liegenlassen des Manuskripts. Es ist kein Geheimnis, dass es lange dauern kann, bis man einen Verlag findet - in der Zwischenzeit schlummern die Manuskripte auf der Festplatte vor sich hin und wenn man es dann wieder ausgräbt, fallen einem sofort tausend Sachen ins Auge, die geändert werden müssen. Oder man ändert, weil die Absagen mit Feedbacks dazu verbunden waren, warum das Manuskript (noch) nicht marktfähig ist.

Diesmal will ich es nun also "richtig" machen: Einen Plan aufstellen und dann - innerhalb kurzer Zeit - den Roman schreiben. Das verspricht auch mehr Durchgängigkeit, was die Stimmung, den Stil und die Logik der Figuren anbelangt.

Doch um zu beginnen, brauche ich eine Diskussionsgrundlage - auch wenn ich erst mal nur mit mir selber diskutieren muss. Ich beginne also mit einer Szene, lasse meine Hauptfigur auftreten - ich möchte sie erleben, sie sprechen lassen, bevor ich ihren Charakter in eine Tabelle mit ihren wichtigsten Eigenschaften, ihrem Aussehen und ihrem Werdegang und ihren Wünschen zu pressen versuche.

Dabei investiere ich bewusst in Textarbeit, um mich "heranzuschreiben" an die Figuren und die Handlung. Und auch um herauszufinden, ob die Stimmung trägt, ob ich nach einigen Tagen immer noch weitermachen kann und möchte.

Erst dann mache ich mich daran, die Handlung genauer zu skizzieren. Früher habe ich angehenden Schreiberlingen gern geraten "wenigstens auf ein Ende zu" zu schreiben. Heute würde ich sagen, das reicht nicht. Auch das Dazwischen sollte gut geplant sein. Diesmal versuche ich es systematisch - und bleibe erst mal hängen. Mein Unterbewusstsein braucht einiges an Zeit, um den Stoff aufzubereiten. Zwar schreibe ich einen Anfang, aber dann hänge ich. Aber nicht lange. Ich arbeite mich systematisch vor und nutze dabei ein so genanntes Beat Sheet von Scriptdoktor alias Literaturkaninchen / Daniela J. Pusch, inspiriert von Blake Snyder (und da wären wir wieder bei den us-amerikanischen Schreibgurus, diesmal aus dem Drehbuchbereich)... Andere Plot-Hilfen wie die Heldenreise funktionieren ähnlich. Zumindest aber sollte man sich im Klaren sein, dass eine Geschichte einen Aufbau braucht. Festhalten kann man ihn in dem oben genannten Beat Sheet (das wie ein Fragebogen benutzt werden kann), auf Karteikarten, mit Hilfe einer Schreibsoftware (das ist wieder ein Kapitel für sich) oder als komplette Nacherzählung der Geschichte. Dieser Handlungsaufriss kann während der eigentlichen Textproduktion immer wieder überprüft, angepasst, verfeinert werden.

Nachdem ich das Beat Sheet ausgearbeitet hatte, flutschte es plötzlich - und ich schrieb in relativ kurzer Zeit die ersten 130 Seiten des Romans ... und ich bin zuversichtlich, dass sich die zweite Hälfte ebenso flott realisieren lässt. Ob es geklappt hat, erfahrt ihr hier auf diesem Blog - oder wenn das Buch erscheint :-)

 

Übrigens: Diesen Text habe ich einfach so "runtergeschrieben". Damit ihr wisst, was ich gerade so treibe und warum es hier so still ist - so viel zu The making of the making of.

muttertag

vergissmeinnicht

aus deinem garten

und von den wiesen

löwenzahn

meine klebrigen finger banden

die stängel mit gräsern

jetzt ist dein platz unter buchen

meine hände schneiden

das efeu und immergrün

dazwischen vergissmeinnicht

ich zünde die kerze an

und schicke dir einen garten

voll sommerblumen

Nomaden

Seit Tagen hockt Tali auf dem Teppich am Ofen, eine Flasche kaltes Wasser neben sich. Das Feuer ist längst erloschen, und er schützt sich mit einer dicken Decke. Trotzdem zieht ihm der beständig brausende Wind alle Kraft aus den Knochen.

Als Talis große Schwester Afzelia mit dem Vater aufbrach, war der Himmel noch blau und kein Sandkorn am Himmel zu sehen. Also machten sie sich wie vereinbart auf den Weg ins Niburtal, um mit der Aufforstung zu beginnen. Tali weinte vor Wut, weil er nicht mitdurfte. Es dauerte lange, bis das Shuttle in der Weite der baumlosen Steppe verschwunden war. Das Familienfahrzeug, ein alter Wasserstoff-SUV, blieb hier in der Basisstation zurück.

Natürlich hatte man sie vor dem Arekan gewarnt. Tali hofft, dass seine Schwester und der Vater es rechtzeitig bis ins Lager geschafft haben und dass sie dort sicher sind. An Pflanzarbeiten ist im Moment nicht zu denken. Sie können froh sein, wenn ihnen die jungen, wertvollen Setzlinge nicht um die Ohren fliegen; ebenso die leichten Zelte, die ihnen wahrscheinlich als Unterschlupf dienen.

Tali fragt sich, wie lange ihre eigene Behausung noch standhalten wird. Ihre einheimischen Helfer sagen, die Jurten sind für Schlimmeres ausgelegt als diesen Sturm. Er muss einfach glauben, dass sie recht haben. Trocken und schwer greift der Wind nach den dünnen Wänden, dringt durch jedes noch so winzige Loch und bläht das Innere des Zeltes auf, sodass Tali erwartet, jeden Moment samt seinem Teppich in die Höhe gehoben zu werden.

Er zurrt die warme Decke fester um sich. Die Auftraggeber haben einiges investiert, um der Familie den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Doch das Warten macht ihn fertig, er versinkt in seinen Gedanken wie in Treibsand. Was, wenn Afzelia und sein Vater nicht rechtzeitig Unterschlupf gefunden haben? Was, wenn sie im Shuttle eingeschlossen sind? Wie lange können sie mit ihrem kleinen Wasservorrat aushalten? Werden Regierungseinheiten den Ausländern zu Hilfe kommen? Immerhin sind sie intergalaktisch angesehene Experten für Aufforstung. Die Grünen Mauern in China und in der Sahara, das ganze diffizile System aus Neuem Wald, der mit seinem Kohlendioxidhunger den Klimawandel auf Talis Heimatplaneten in Schach hält – dies alles geht auf eine Forschungsgruppe unter der Leitung seines Vaters zurück. Und auch Afzelia ist bereits eine brillante Nachwuchswissenschaftlerin.

Am Zelteingang lehnt Talis Mutter wie ein dunkler Schatten. Durch das Glas seiner Wasserflasche betrachtet, erscheinen ihre Beine in den weiten Hosen fast normal, während ihr Oberkörper zu einem Stecknadelkopf zusammengeschrumpft ist. Erst, als sie näherkommt, tauchen ihre Schultern und ihr Gesicht unverzerrt in Talis Blickfeld auf. Sie geht an ihm vorbei zur anderen Seite des Zelts, wo die Essensvorräte und das Laptop lagern. Nur einmal am Tag fährt sie es hoch, um nachzusehen, ob ihr Mann oder Afzelia sich gemeldet haben. Solange die Sonne verdunkelt ist, sind sie auf die Akkus angewiesen.

Tali kann nicht widerstehen, er schaltet unter der Decke sein Tablet an und ruft die Karte auf, die das Einsatzgebiet der Aufforstungsgruppe zeigt: Irgendwo dort draußen müssen sie sein. Auf einer der dunklen Inseln, die das letzte Land markieren, das noch nicht von beigefarbenem Sand bedeckt ist. Mit jedem Arekan wie diesem wird die Lage aussichtsloser. Und wie immer hat die Regierung gewartet, bis es beinahe zu spät ist.

Talis Mutter seufzt. Er hört, wie sie das Laptop zuklappt und in den Essensvorräten wühlt. Dann kommt sie zu ihm herüber und reicht ihm einen Teller mit kaltem Fleisch und Brot. Als Tali hineinbeißt, knirscht es. Seit Tagen ist jedes Essen mit feinem Sand durchtränkt wie von einer ätzenden Flüssigkeit.

"Es macht mich wahnsinnig, dass ich nichts tun kann", murmelt Talis Mutter. Mehr zu sich selbst als zu ihrem Sohn, von dem sie glaubt, dass er zu jung ist. Dann streckt sie sich ebenfalls auf dem Teppich aus, kaum einen Meter von ihm entfernt. Bald schläft sie ein – zum ersten Mal, seitdem der Sandsturm tobt.

Tali hingegen bleibt hellwach. Unter der Decke greift er nach seinem Rucksack, schiebt die noch volle Wasserflasche hinein, Fleisch und Brot, das Taschenmesser. Der SUV-Transponder steckt schon seit Tagen in seiner Hosentasche. Er wartet, bis der Sturm kurz Atem holt. Dann schlüpft er hinaus in den Schatten der Jurte.

 

inspiriert von der Ausstellung EAM - Science meets fiction

Siebenmal mehr

Mehr schreiben als reden.

Mehr spüren als hoffen.

Mehr tanzen als sitzen.

Mehr singen als schweigen.

Mehr umarmen als händeschütteln.

Mehr buntes Gemüse.

Mehr leben als alles andere. 

Jahreswechsel in der Schreibwerkstatt

Schriftsteller Regensburg Rädisch Frauenroman Nordsee Bayerischer Wald

Es heißt ja SchreibWERKSTATT und das kann man ruhig wörtlich nehmen: Kurz vor Weihnachten und zwischen den Jahren habe ich hier umgebaut, gebohrt und geschraubt. Auf das Ergebnis bin ich mächtig stolz. Endlich habe ich eine Lösung gefunden, bei der ich meinen einsamen Schreibplatz mit wenigen Handgriffen in einen Gruppenraum für sechs Personen (plus Leitung) verwandeln kann und wieder zurück. Es gibt eine große, weiße Tischplatte (analog zum inspirierenden weißen Blatt) und einen süßen kleinen Anbautisch aus Naturholz mit den perfekten Maßen, den ich je nach Bedarf dazu- oder wegstellen kann.

Gleich nach Silvester setzte ich einen Neujahrsvorsatz um und dübelte das Whiteboard an die Wand, welches bisher auf einer wackeligen Pseudo-Staffelei gestanden und dabei viel Platz gefressen hatte. Nach den wenig ermutigenden Worten meines Vermieters wollte ich schon wieder aufgeben - aber nur beinahe, denn mein handwerklicher Ehrgeiz war entfacht. Ich packte also die Schlagbohrmaschine aus, die ich anno 1995 als Studentin bei einem Discounter erstanden habe - nicht gerade das Highlight unter den Bohrgeräten. Auch mein Bohrersatz ist schon ziemlich abgenudelt ... schließlich brauche ich beides nur alle heiligen Zeiten. Dann nehme ich mir regelmäßig vor, mich endlich besser auszustatten. Was ich nach erfolgreicher Heimwerkerei schnell wieder verdränge.

Bei dem ersten Dübelloch fühlte es sich an, als würde ich mit einem Zahnstocher in einem Stahlträger popeln. Doch immerhin löste sich kein tellergroßer Krater aus dem Putz (das, was ich am meisten fürchte). Vielmehr dauerte es 20 Minuten, bis ich das Bohrloch weit genug vertieft und verbreitert hatte - ich fange immer mit dem kleinsten Durchmesser an, egal wie dick der Dübel ist. An der rechten oberen Ecke wiederholte sich das Ganze: gefühlter Fels, 15 Minuten. Dafür befand sich rechts unten offenbar nur Luft. 20 Sekunden und ein Hauch von Ziegelstaub. Erst das vierte Loch leistete nicht zu viel und nicht zu wenig Widerstand.

Es grenzt an ein Wunder, dass die Dübel 1.) halten und 2.) auch noch an den richtigen Stelle sitzen: Versucht ihr mal, mit zwei Händen eine 120 x 90 cm große Platte einigermaßen waagrecht an die krumme Wand zu halten (aber so, dass nicht das ganze Gewicht an dem ersten, einzigen Dübel hängt) und gleichzeitig noch die Bohrlöcher für die drei anderen Ecken mit einem Bleistift anzuzeichnen ... Doch was soll ich sagen: Nach zwei Wochen hängt das Dingens noch immer fest im Blickfeld der Kursteilnehmenden. Allerdings ist es an der Wand ein wenig dunkel. Das nächste Projekt steht also schon ins Haus: Mission "Beleuchtung". Vielleicht lege ich mir dann endlich mal einen neuen Satz Bohrer zu.