Romane "richtig" schreiben - ein Selbstversuch

The making of ...

Man möchte meinen, nach zwei veröffentlichten Romanen wüsste ich, wie es geht. Würde souverän planen und das Ding dann zielgerichtet runterschreiben ... ganze Stapel zumeist us-amerikanischer Schreibhandwerksbücher jedenfalls suggerieren, dass das die beste Methode ist. Entsprechend viel ist über den Aufbau, Figurenentwicklung und das Plotten von Romanen schon geschrieben und gesagt worden. Doch da ist auch noch die Theorie der Schreibberatung und die Praxis der Erfahrung: So ganz geradlinig geht es beim Schreiben selten zu. Es ist ein Annäherungsprozess, der irgendwie geleistet werden muss - vor, während und/oder nach dem Schreiben einer Rohfassung. Und auch die Schreibforschung spricht von verschiedenen Schreibertypen. An einem Ende stehen die Strukturfolger: Sie entwerfen zuerst eine Struktur, planen also ihren Text voraus, und folgen beim Schreiben der vorausgeplanten Struktur. Für den Roman heißt das, sich einen Plan von der Handlung zu machen mit Anfang, Mittelteil, Schluss; dazwischen Wendepunkte, Vorausdeutungen, Verwicklungen. Manche Autorinnen fahren gut mit einem Plot-Plan, bei dem nicht nur der grobe Handlungsverlauf festgelegt ist, sondern auch die einzelnen Szenen - ihre Abfolge, der jeweilige Inhalt, Perspektive, Stimmung und Funktion innerhalb des großen Ganzen.

Am anderen Ende der Skala stehen die Strukturschaffer: Diejenigen, bei denen der Weg durch den Text beim Gehen (=Schreiben) entsteht. Da ist viel Versuch und Irrtum, können ganze Textpassagen verworfen, verschoben, grundlegend überarbeitet werden.

Die meisten SchreiberInnen bewegen sich irgendwo dazwischen, die Ideallinie gibt es nicht bzw. ist sie für jedeN individuell. Abhängig nicht nur vom Schreibertyp, sondern auch vom Genre und vom Schreibprojekt. Eine Fantasy-Geschichte mit mehreren, hunderte von Seiten dicken Bänden erfordert einfach mehr Planung als ein 240seitiger Liebesroman. Vielleicht gibt es Genies, die das alles im Kopf zusammenbacken können. Aber die meisten von uns brauchen Planungs- und Gedächtnisstützen dafür - nicht zuletzt, weil das Produzieren von Text auch die Gedanken zum Text formt und umgekehrt. Schreiben ist Entwicklungs-, Lern- und Produktionsprozess zugleich.

Bei meinen beiden ersten Büchern galt es nicht nur jeweils einen Roman zu entwickeln - das Schreiben zog sich über viele Jahre hin und diente auch meiner Schreibentwicklung allgemein. Diese ist sicher nie ganz abgeschlossen, aber ich spüre, dass ich mehr und mehr zu meiner Form finde und damit auch nicht mehr ganz so viel Text verwerfen muss wie am Anfang. Den Erstling "Brot und Bitterschokolade" beispielsweise warf ich - nach dem fundierten, aber auch irgendwie frustrierenden Feedback einer geschätzten Schreibpartnerin - komplett weg und erzählte die Geschichte neu. Zwar gibt es auch den Typus des Versionenschreibers, der den Text bewusst mehrmals neu schreibt und sich so an die perfekte Endfassung annähert. Aber zu diesem Typus gehöre ich nicht.

Beim Zweitling ergaben sich viele Überarbeitungsgänge schlicht aus dem Liegenlassen des Manuskripts. Es ist kein Geheimnis, dass es lange dauern kann, bis man einen Verlag findet - in der Zwischenzeit schlummern die Manuskripte auf der Festplatte vor sich hin und wenn man es dann wieder ausgräbt, fallen einem sofort tausend Sachen ins Auge, die geändert werden müssen. Oder man ändert, weil die Absagen mit Feedbacks dazu verbunden waren, warum das Manuskript (noch) nicht marktfähig ist.

Diesmal will ich es nun also "richtig" machen: Einen Plan aufstellen und dann - innerhalb kurzer Zeit - den Roman schreiben. Das verspricht auch mehr Durchgängigkeit, was die Stimmung, den Stil und die Logik der Figuren anbelangt.

Doch um zu beginnen, brauche ich eine Diskussionsgrundlage - auch wenn ich erst mal nur mit mir selber diskutieren muss. Ich beginne also mit einer Szene, lasse meine Hauptfigur auftreten - ich möchte sie erleben, sie sprechen lassen, bevor ich ihren Charakter in eine Tabelle mit ihren wichtigsten Eigenschaften, ihrem Aussehen und ihrem Werdegang und ihren Wünschen zu pressen versuche.

Dabei investiere ich bewusst in Textarbeit, um mich "heranzuschreiben" an die Figuren und die Handlung. Und auch um herauszufinden, ob die Stimmung trägt, ob ich nach einigen Tagen immer noch weitermachen kann und möchte.

Erst dann mache ich mich daran, die Handlung genauer zu skizzieren. Früher habe ich angehenden Schreiberlingen gern geraten "wenigstens auf ein Ende zu" zu schreiben. Heute würde ich sagen, das reicht nicht. Auch das Dazwischen sollte gut geplant sein. Diesmal versuche ich es systematisch - und bleibe erst mal hängen. Mein Unterbewusstsein braucht einiges an Zeit, um den Stoff aufzubereiten. Zwar schreibe ich einen Anfang, aber dann hänge ich. Aber nicht lange. Ich arbeite mich systematisch vor und nutze dabei ein so genanntes Beat Sheet von Scriptdoktor alias Literaturkaninchen / Daniela J. Pusch, inspiriert von Blake Snyder (und da wären wir wieder bei den us-amerikanischen Schreibgurus, diesmal aus dem Drehbuchbereich)... Andere Plot-Hilfen wie die Heldenreise funktionieren ähnlich. Zumindest aber sollte man sich im Klaren sein, dass eine Geschichte einen Aufbau braucht. Festhalten kann man ihn in dem oben genannten Beat Sheet (das wie ein Fragebogen benutzt werden kann), auf Karteikarten, mit Hilfe einer Schreibsoftware (das ist wieder ein Kapitel für sich) oder als komplette Nacherzählung der Geschichte. Dieser Handlungsaufriss kann während der eigentlichen Textproduktion immer wieder überprüft, angepasst, verfeinert werden.

Nachdem ich das Beat Sheet ausgearbeitet hatte, flutschte es plötzlich - und ich schrieb in relativ kurzer Zeit die ersten 130 Seiten des Romans ... und ich bin zuversichtlich, dass sich die zweite Hälfte ebenso flott realisieren lässt. Ob es geklappt hat, erfahrt ihr hier auf diesem Blog - oder wenn das Buch erscheint :-)

 

Übrigens: Diesen Text habe ich einfach so "runtergeschrieben". Damit ihr wisst, was ich gerade so treibe und warum es hier so still ist - so viel zu The making of the making of.