Nur ein paar Worte

Mädchen junge Frau schreibt Notizbuch Tagebuch
Foto: Hanna Olinger auf Unsplash

Nur ein paar Worte nehme ich mir vor. Für jeden Tag. Ins Tagebuch, Notizbuch. Mir selber ins Gesicht und in die Seiten schauen. Noch nicht wissen, was als nächstes kommt. Warum ist es so leer hier im Blog? Weil ich eben dies in letzter Zeit nicht so oft getan habe. Dabei ist es genau das, wozu ich in meinen Schreibwerkstätten anleite. Schreiblust braucht einen Rahmen und eigentlich nur wenig Zeit. Ein paar Worte sind schnell hingeschrieben. Dürfen stehenbleiben oder sich verselbständigen - vielleicht kommt die Lust und das Bedürfnis, tiefer einzusteigen und etwas Längeres daraus zu machen. Vielleicht reicht aber auch der kleine Gedanke, der schon länger in mir wohnt und den ich noch nie so recht in Worte fassen konnte und der nun deutlicher hervortritt. Wie ein Baum oder ein Berg, die sich nach und nach aus dem morgendlichen Dunst erheben. Oder etwas, das ich mir vorgenommen, dann aber wieder vergessen habe - wie zum Beispiel morgens schwungvolle Musik aufzulegen, um in die Gänge zu kommen. Los - schreib es hin! (Und tu es.)

Und dann wären da noch Fragen - Fragen, die ich mir noch nicht gestellt hatte, die aber wichtig sind. Bei mir aktuell: Wo will ich mit meinem Manuskript eigentlich hin? Bis jetzt ging es vor allem darum, endlich einmal fertig zu werden. Das ist gelungen - übrigens auch, indem ich zuweilen "nur ein paar Worte" hinschrieb, aus denen dann mehr wurde. Sie flossen entweder direkt in den Text oder ich kritzelte vor mich hin, fand Lösungen für Knoten in der Handlung oder deckte die Motivation meiner Figur auf. Denn in einem Roman geschieht nichts ohne Grund. Alles, was meine Figuren tun, muss sich glaubhaft aus ihrem Charakter ergeben und die Handlung vorantreiben.

Und doch: "Nicht alles muss einen Sinn ergeben", las ich neulich. So befreiend! Wobei ich im Zusammenhang mit kreativen Prozessen eher von "absichtslos" sprechen würde - dass also alles kommen darf, was kommen will, und nichts von vornherein ausgeschlossen ist. Und wie oft ergibt sich eine gewisse Ordnung dann von selbst. Muss aber nicht sein.

Einfach anfangen. Jeden Tag neu. Nur ein paar Worte ...

Gerade erschienen!

... mit einem Beitrag von mir.

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Was wäre wenn ... ich in den 80ern schon Internet gehabt hätte?

Manchmal frage ich mich, ob mein Leben anders verlaufen wäre, hätte es in meiner Kindheit schon das Internet gegeben, wie wir es heute kennen. Doch ich wuchs in den 80ern in einem Arbeiterhaushalt auf dem Land auf; ohne U-Bahn oder Elterntaxi. Nur der Schulbus fuhr, morgens hin und mittags zurück. Im Dorf gab es zwei jüngere Mädchen, mit denen ich oft spielte, für die übrigen Sozialkontakte war ich auf Familie und Schule angewiesen. Ich arbeitete auf unserem Nebenerwerbs-Bauernhof, war viel draußen, nachmittags und am frühen Abend sah ich fern; das Raumschiff Enterprise nahm mich mit in ferne Welten. Dazu kam das Lesen - und das Schreiben. Beides musste ich sowieso lernen - also wurde es mein Lebens- und Ausdrucksmittel. Über das Soll hinaus gab es nichts: Ich lernte kein Instrument, war in keinem Sportverein. Es gab kein Reiten oder Reisen. Aber zum Glück die Realschule im Nachbarort. Dort betreute ich drei Jahre lang die Schülerbibliothek, nebenan lag die überschaubare Gemeindebücherei mit ihren Jugendbüchern und Hörspielkassetten. Immerhin, die Lesefreude meiner Mutter bescherte mir die Bücher unterm Weihnachtsbaum und zum Geburtstag, beim Buchclub bestellt; ganz selten einmal kam ich nach Deggendorf in einen Buchladen. Stattdessen gab es die private Schmiede-Werkstatt meines Vaters und die Anregungen der Natur: Wald, Wiesen und Felder statt Kino, Theater oder Museen. Letztere entdeckte ich erst als Erwachsene, und meine Berufsorientierung beschränkte sich auf's Naheliegende. Erst die Lehre, dann ein Ingenieurstudium - damals noch ungewöhnlich für ein Mädchen, aber folgerichtig für die Tochter eines "Metallers".

Schriftstellerin wollte ich damals schon werden - doch das war unerhört. Ich wusste weder, wie man dazu kam, noch wo die anderen zu finden waren. Heute gibt es ja für alles und jedes ein Forum im Internet, Autoren und Autorinnen haben Webseiten und öffentliche Werdegänge.  Bücher, Studiengänge, Verlage, Vorbilder - all das lässt sich im Netz viel leichter aufspüren - und dann live erleben. Oder eben online; die gegenwärtige Situation bringt oder zwingt uns dazu. Diejenigen, die jetzt seit Monaten fast nur im Home Office sind, die gezwungen sind den ganzen Tag vor dem Bildschirm zu unterrichten oder unterrichtet zu werden; diejenigen, denen Videokonferenzen die Beratung oder Therapie ersetzen sollen - für die ist es hart. Und doch.

Für mich hat "dieses Online" seine Faszination noch nicht verloren. Natürlich spüre ich mein Gegenüber oder meine Schreibgruppe besser, wenn wir uns auch körperlich nahe sind; natürlich sollte das Studentenleben sich in Hörsälen und Kneipen abspielen. Doch wenn das nicht möglich ist (weil man zu weit weg wohnt, nebenher noch Geld verdienen muss oder weil gerade Pandemie ist), eröffnet das Internet tolle Möglichkeiten.

Ich empfinde es nach wie vor als Wunder, spüre noch immer die kindliche Freude wie damals am Dosentelefon. Mein Herz jubelt vor Freude, dass ich mich jederzeit, von überallher mit der Welt verbinden kann, mit Schreibpartnerinnen in Zürich oder Linz.

Ich stelle mir vor, wie ich damals, in meiner einsamen Kindheit, Online-Lesungen besucht, mich mit anderen Schreibenden ausgetauscht hätte, wie ich herausgefunden hätte, wohin ich gehen kann, um meine Möglichkeiten früher und breiter zu entfalten.

Vielleicht aber wäre ich auch eines der Kinder gewesen, die keinen eigenen Laptop besitzen und schlechten Zugang zum Internet haben.

Vielleicht wäre ich mit Internet gar keine Schriftstellerin geworden, denn das Abgeschnittensein von fast allem lehrte mich zu träumen und zu phantasieren.

Und viele Fähigkeiten, die ich in meiner analogen Kindheit und Jugend erworben habe, kommen heute auch online zum Tragen. Dass ich weiß, wie man sich durchfragt; wie man eine Nachricht zu bewerten hat, und dass ich einschätzen kann, was glaubwürdig ist und was nicht ...

Ich wünsche mir, dass möglichst viele Menschen erstens Zugang zu Online-Angeboten haben und zweitens diese auch kompetent zu nutzen lernen. Das ist für mich ein zentraler Baustein für gesellschaftliche Teilhabe und Mobilität.

Mein inneres Café

Mir fehlt das Schreiben im Café: Versorgt mit einem Keks und Cappuccino, mein Notizbuch vor mir, einen Stift, das Handy in Griffweite. Nicht nachdenken zunächst, sondern aufschreiben, was kommt. Gedanken zum Tag, Erlebtes, Gefühle. Über das Schreiben und das, was mich scheinbar vom Schreiben ablenkt. Was noch nachhängt von dem, was im Außen so los ist: Büroalltag, Gespräche mit Kollegen, endlose To-Do-Listen und Termine. Ringen um Fokussierung, die schließlich mit Hilfe des Schreibens gelingt. Den Raum öffnen, Weite zulassen. Die Welt um mich versinkt und dennoch brauche ich sie: Das energische Klopfen, mit dem das gebrauchte Kaffeemehl aus dem Siebträger befördert wird. Das anschwellende Kreischen der Milchschaumdüse. Gelächter und Satzfetzen, die zu mir herüberwehen, von ratschenden Müttern oder Monteuren in Arbeitsklamotten. Das Klappern einer Laptoptastatur. Dass jemand da ist, wenn ich von meinen linierten Seiten aufschaue und innehalte. Und dann höre ich plötzlich diese Stimme in mir: „Früher hast du viel mehr gebloggt“, mault meine innere Schreiberin. „Ja, früher! Da hattest du auch mehr Ideen!“, halte ich ihr entgegen. Sie schweigt, ein bisschen beleidigt. Kein Wunder, denn wir wissen doch beide, dass Schreiben vom Schreiben kommt. Vom Hinsetzen und Tun, auch wenn die ersten Sätze stolpern.

Mir fehlt das Schreiben im Café, schreibe ich. „Das ist traurig“, sagt die Schreiberin. „Aber Schreiben kannst du doch immer, egal wo.“ Stimmt. Umso mehr jetzt, wo ich die seeligen Kaffeehausmomente heraufbeschworen habe. Ich fülle meine Teetasse und tu ein wenig so, als säße ich wirklich dort. Die Worte kommen.